Amelia Peabody 11: Der Fluch des Falken
Pyramide zu ziehen. Wenn Sie die Privatgräber vorziehen, dann kommen Sie, und wir schauen uns die westlichen Grabfelder an. Bislang scheinen die Gräber nur klein und armselig, aber ich bin fest entschlossen, das gesamte Gebiet freizulegen, im Gegensatz zu anderen Exkavatoren, die …« Arm in Arm schlenderten sie davon, während Emerson seinen Vortrag fortsetzte und Nefret neben ihnen hertrottete. Auf meine Frage, ob Ramses sich uns anschließen wolle – was dieser entschieden ablehnte –, folgte er den anderen.
Als ich der schlanken, hoch aufgeschossenen Gestalt meines Sohnes nachblickte, entfuhr mir ein leises Seufzen. »Irgend etwas beunruhigt Sie«, bemerkte Katherine mit freundschaftlichem Mitgefühl. »Hat es etwa mit Ramses zu tun?«
»Ich bin nicht beunruhigt. Keineswegs. Aber ich wünschte mir, er würde seßhaft werden. Er kann sich einfach nicht entscheiden, was er wirklich machen will.« »Meine liebe Amelia! Für einen jungen Mann seines Alters hat er bereits eine Menge geleistet. Die Ausführungen zur frühen ägyptischen Grammatik, die Bände über die Tempel in Theben –«
»Das ist ja das Problem, Katherine. Er arbeitet zu intensiv und nimmt zu wenig Rücksicht auf sich.« »Stehen Sie da nicht im Widerspruch zu sich selbst?«
fragte Katherine lächelnd. »Möchten Sie denn, daß er zu Hause bleibt und Sie ihn bemuttern können?«
»Katherine, Sie wissen genau, daß ich nie zu den aufopfernden Müttern gehört habe. Die Wahrheit ist, daß er Emerson sehr gefehlt hat.«
»Emerson?«
»Und natürlich auch Nefret.«
»Natürlich.«
»Nun ja, wie dem auch sei. Allah wird’s schon richten, hätte Abdullah jetzt gesagt. Haben Sie nicht Lust, einen Blick in die Pyramide zu werfen?«
»Weder heute noch an irgendeinem anderen Tag.« Ihr heiteres, sympathisches Lächeln wich einem ernsten Gesichtsausdruck. »Und Cyrus auch nicht, sofern ich das irgendwie verhindern kann. Nach Ihrer Abreise war er gelangweilt und ruhelos. Luxor ohne Sie ist einfach nicht mehr dieselbe Stadt. Ich glaube, Cyrus würde sogar sein geliebtes Schloß aufgeben und um eine Ausgrabungsgenehmigung im Gebiet von Kairo ersuchen, nur um in Ihrer Nähe zu sein. Mir würde das ebenfalls gefallen, trotzdem möchte ich nicht, daß Cyrus in irgendwelchen Pyramiden herumklettert. Können Sie nicht ein paar schöne, sichere Grabstätten für ihn finden?«
Ich nahm die mir entgegengestreckte Hand und drückte sie sanft, da mich dieser Beweis ihrer Zuneigung überaus bewegte, trotzdem mußte ich über ihre Naivität schmunzeln. Seit ihrer Eheschließung mit Cyrus hatte sie eine Menge über die Ägyptologie gelernt, dennoch galt ihr Hauptinteresse auf diesem Gebiet der Zufriedenheit ihres Gatten.
»Meine liebe Katherine, nichts würde mich mehr erfreuen, als Sie und Cyrus wieder als Nachbarn zu haben. Ich wollte, es stünde in meiner Macht, Ihnen diese Bitte zu erfüllen, aber wir haben in neuerer Zeit absolut keinen Einfluß mehr auf M. Maspero; wie Sie sehen, mußte mein geliebter Emerson sogar schon auf unbedeutende Grabfelder und nie fertiggestellte Pyramiden umsatteln. Allerdings versteht sich Cyrus besser mit M. Maspero als wir. Vielleicht ließe sich mit wohldosierter Schmeichelei etwas erreichen … Welche Art von Gräbern schwebt Ihnen denn vor?«
»Das ist mir völlig gleich, liebste Amelia, solange besagte Gräber keine tiefen Schächte oder einsturzgefährdete Gänge aufweisen.« Sie beugte sich zu mir vor und senkte ihre Stimme. »Cyrus würde eher sterben als eingestehen, daß er nicht mehr der Jüngste ist.«
»Das sind wir alle nicht mehr«, erwiderte ich. »Nicht einmal Ramses und Nefret.«
»Eine alberne Klischeevorstellung, nicht wahr? Aber Sie wissen, was ich meine. Ihre Begeisterung für finstere unterirdische, mit Fledermausexkrementen und verwesten Mumien gefüllte Kammern kann ich leider nicht teilen.«
»Nun ja, die Geschmäcker sind verschieden«, erwiderte ich fröhlich. »Dem Himmel sei Dank, Katherine, sonst würden wir alle das gleiche wollen.«
Das Abendessen war ein voller Erfolg. Cyrus hatte einige Flaschen Champagner mitgebracht und bestand darauf, daß wir auf alles und jeden anstießen. Sein letzter Toast hatte den Charakter einer Ankündigung.
»Also, Leute, auf unsere besten Freunde und unsere Beinahe-Familie. Wir haben euch so entsetzlich vermißt, daß wir unser Haus in Luxor aufgeben und nach Kairo umsiedeln wollen – nicht wahr, Katherine? Nach Weihnachten werde ich M. Maspero
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