Amelia Peabody 12: Der Donner des Ra
die Einladung von Russell stammte und nicht von Emerson.
Nefret erkannte es ebenfalls und warf mir ein verschwörerisches Lächeln zu, als sie Russell ihre behandschuhten Finger reichte. Gesellschaftliche Konventionen interessierten Emerson nicht im Geringsten, und Russell blieb keine andere Wahl, als sich erfreut zu zeigen.
»Also, hm, ja, Professor – das ist – ich bin – äh – selbstverständlich erfreut, Miss – äh – Forth – äh – zu sehen.«
Seine Verwirrung war verständlich. Nach dem Tod ihres Mannes hatte Nefret wieder ihren Mädchennamen angenommen, und die Kairoer Gesellschaftszirkel hatten Schwierigkeiten, das zu akzeptieren. Im Übrigen galten viele von Nefrets Aktionen als schwer nachvollziehbar.
Wir begaben uns umgehend in den Speisesaal und an den von Mr Russell reservierten Tisch. Mir schien, als sei ihm ein wenig unbehaglich zumute, und mein Verdacht, warum er uns zum Essen eingeladen hatte, bestätigte sich. Er wollte etwas von uns. Unterstützung vielleicht, um einige der gefährlicheren ausländischen Agenten in Kairo einzukreisen? Während mein Blick durch den Speisesaal wanderte, fragte ich mich, ob der Krieg nicht allmählich auch an meinen Nerven zehrte. Beamte und Offiziere, Ehefrauen und junge Mädchen – Menschen, die ich seit Jahren kannte – wirkten plötzlich verschlagen und falsch. Stand der eine oder andere unter ihnen vielleicht im Sold des Feindes?
Jedenfalls, redete ich mir entschieden ein, war keiner von ihnen Sethos.
Emerson gehört nicht zu den Menschen, die um die Sache herumreden. Er wartete, bis wir bestellt hatten, dann erklärte er: »Nun, Russell, was beschäftigt Sie, hm? Falls Sie von mir verlangen, dass ich Ramses davon überzeuge, dem Nachrichtendienst beizutreten, dann verschwenden Sie Ihre Zeit. Seine Mutter will nichts davon wissen.«
»Er auch nicht«, erwiderte Russell süffisant lächelnd. »Es ist sinnlos, Sie täuschen zu wollen, Professor. Ich hoffe, die Damen werden entschuldigen, wenn wir über Geschäftliches reden –«
»Ich ziehe Geschäftliches Unsinnigem vor, Mr Russell«, erwiderte ich mit einer gewissen Schärfe.
»Sie haben Recht, Madam. Ich sollte es besser wissen.«
Er verkostete den Wein, den der Kellner ihm eingegossen hatte, und nickte anerkennend. Während unsere Gläser gefüllt wurden, hing sein Blick an Nefret, und seine Stirn legte sich in Falten. Sie war der Inbegriff einer sittsamen jungen Dame – hübsch und naiv und harmlos. Der aparte Ausschnitt ihres Kleides entblößte ihren schwanengleichen Hals; Schmuck glitzerte auf ihrem Dekolleté und in ihrem rotgoldenen, kunstvoll frisierten Haar.
Niemand hätte vermutet, dass diese feingliedrigen Hände besser mit einem Skalpell umzugehen vermochten als mit einem Fächer oder dass sie einen Angreifer wirkungsvoller abwehrte als mancher Mann.
Ihr war klar, was Russell dachte, und sie erwiderte freimütig seinen forschenden Blick.
»Eine ganze Reihe von Leuten in Kairo wird Ihnen bestätigen, dass ich keine Dame bin, Mr Russell. In meiner Gegenwart brauchen Sie kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Es geht um Ramses, nicht wahr? Was hat er diesmal angestellt?«
»Nichts, was mir bekannt wäre, außer, dass er sich ausgesprochen unbeliebt macht«, entgegnete Russell.
»Oh, zum Teufel mit – verzeihen Sie, Miss Forth.« Sie strahlte ihn an und sein ernstes Gesicht verzog sich zu einem einfältigen Grinsen. »Wie ich schon andeutete – ich kann ebenso gut ehrlich zu Ihnen sein. Ja, ich bin an Ramses herangetreten. Ich glaube, es gibt keinen Nachrichtendienst in Ägypten, ob militärisch oder zivil, der nicht versucht hätte, ihn anzuwerben! Ich blieb genauso erfolglos wie alle anderen. Dabei könnte er für mich von unschätzbarem Wert sein bei der Festnahme dieses Burschen Wardani. Ich vermute, Sie alle wissen, wer er ist?« Emerson nickte. »Der Führer der jungen ägyptischen Partei – und als Einziger von den Nationalisten noch auf freiem Fuß. Alle anderen haben Sie gefasst – darunter auch den Ehemann meiner Nichte, David Todros.«
»Ich kann Ihnen nicht verübeln, dass Sie mir das vorwerfen«, sagte Russell leise. »Aber es ließ sich nicht vermeiden. Bei dieser Bande dürfen wir kein Risiko eingehen, Professor. Sie glauben, dass ihre einzige Hoffnung auf Unabhängigkeit in der Niederlage der Engländer besteht, und sie werden mit unseren Feinden kollaborieren, um dieses Ziel zu erreichen.«
»Was können sie denn tun?«, erkundigte sich Nefret. »Die
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