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Amelia Peabody 12: Der Donner des Ra

Titel: Amelia Peabody 12: Der Donner des Ra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elizabeth Peters
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ihre Aussage genügte. Er fluchte auf Arabisch und fügte aufgebracht hinzu: »Ist denn niemand in der Lage, das Gebrüll dieser Frau zu unterbinden? Wer ist sie?«
    Besagte Frau entwand sich den Armen, die sie umklammert hielten, und stürmte zu Ramses. »Warum stehen Sie tatenlos hier herum?«, wollte sie wissen. »Sie sind Engländer, nicht wahr? Worauf warten Sie noch, holen Sie sie. Retten Sie das Kind!«
    »Beruhigen Sie sich, Madam«, erwiderte Ramses. »Sind Sie die Mutter?«
    Ihm war bereits klar, dass sie das nicht war. Auf ihrer Stirn hätte in großen Lettern »Gouvernante« prangen können. Die ihm bekannten fielen in zwei Kategorien: die furchtsamen und zögerlichen und die lauten und befehlsgewaltigen. Diese Frau gehörte zu letzterem Typus. Sie funkelte ihn unter ihren ungezupften Augenbrauen hinweg an.
    »Also, Sir? Als englischer Gentleman –«
    »Englisch, jedenfalls«, murmelte Ramses. Er war versucht, darauf hinzuweisen, dass seine Nationalität ihn nicht zwangsläufig für diese Aufgabe qualifizierte, die jeder Ägypter besser bewältigt hätte, doch er wusste, dass es keinen Sinn hatte, mit einer aufgebrachten Frau zu diskutieren. Er schüttelte die große Hand ab, die seinen Arm umklammerte, und überließ sie einem widerwilligen Selim. »Ja, Ma’am. Ich werde ihr nachgehen.«
    Und wenn sie mich schlagen will, dachte er im Stillen, schlage ich zurück. Ein einzigartiges Rezept gegen Hysterie, behauptete seine Mutter stets. Was zum Teufel war in diese verfluchte Gouvernante gefahren, dass sie einem Kind eine so gefährliche Unternehmung erlaubte? Entweder war sie inkompetent oder das Kind ausgesprochen ungehorsam.
    Wie ein gewisser nicht sehr fügsamer Junge, dessen kompetenter Mutter es nicht gelungen war, ihn von vergleichbar riskanten Unternehmungen abzuhalten. Während seines Aufstiegs erinnerte er sich an das erste Mal, als er allein auf die Pyramide geklettert war. Damals war er zehn Jahre alt gewesen und um Haaresbreite einem Genickbruch entgangen. Seine Mutter hielt nicht viel von körperlichen Züchtigungen, doch nach dieser Eskapade hatte sie ihm gehörig den Allerwertesten versohlt. Vielleicht stand es ihm wirklich nicht zu, abenteuerlustige Kinder zu kritisieren.
    Während er sich von Stufe zu Stufe hochzog, blickte er lediglich zur Orientierung nach oben. Schon mehrfach hatte er alle vier Seiten der Großen Pyramide bezwungen, dennoch war er nicht so töricht, unnötige Risiken einzugehen. Einige der Steinblöcke waren an den Rändern verwittert, andere gespalten, und sie hatten unterschiedliche Größe. Er blickte auch nicht auf, als von oben eine Stimme zu ihm drang.
    »O Bruder der Dämonen! Wir haben sie begleitet, wir taten, was sie verlangte. Dann setzte sie sich und wollte sich nicht mehr rühren, und sie schlug nach uns, als wir ihr zu helfen versuchten. Wirst du ein gutes Wort für uns einlegen? Wirst du ihnen versichern, dass wir unser Bestes versucht haben? Wirst du –«
    »Sicherstellen, dass ihr bezahlt werdet?« Ramses kletterte auf dieselbe Ebene wie der Sprecher. Er war ein drahtiger, kleiner Mann, sein langes, hochgestreiftes Gewand enthüllte knochige Waden und nackte Füße. Er und seine Frau bewohnten gemeinsam mit mehreren Ziegen, ein paar Hühnern und zwei Kindern eine Hütte in dem Dorf Gizeh. Zwei ihrer Kinder waren bereits im ersten Lebensjahr gestorben.
    Ramses griff in seine Jackentasche und kramte eine Hand voll Münzen hervor. »Hier. Geht jetzt runter, allein komme ich besser mit ihr zurecht.«
    Gottes Segen regnete auf ihn nieder, während die beiden Fremdenführer mit dem Abstieg begannen. Er zwang sich zu einem strengen Gesichtsausdruck, bevor er sich besagtem Notfall zuwandte. Unbewusst hatte er sich bereits ein Bild von ihr gemacht: Vermutlich war sie elf oder zwölf Jahre alt, mit aufgeschürften Knien und Ellbogen, sommersprossiger Nase, eigensinnigem Kinn.
    Mit dem Kinn behielt er Recht. Sommersprossen hatte sie ebenfalls. Seine Alterseinschätzung wurde von ihrer grässlichen und unpraktischen Kleidung bestätigt. Das Kleid wirkte wie eine weibliche Version der Matrosenanzüge, in die seine Mutter ihn gezwängt hatte, als er noch zu jung gewesen war, um sich zur Wehr zu setzen; die gebundene Krawatte baumelte wie ein schlaffer blauer Strick an ihrem Hals. Der Rock reichte bis kurz unters Knie und ihre angewinkelten Beine steckten in dicken schwarzen Strümpfen. Er vermochte sich lebhaft vorzustellen, was sie darunter trug – mehrere

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