Amelia Peabody 12: Der Donner des Ra
erkundigen.
»Ich habe beschlossen, mich zur Krankenschwester ausbilden zu lassen«, erklärte sie.
»Dein Besuch ist uns jederzeit willkommen«, erwiderte Nefret gedehnt. »Aber uns fehlen die Einrichtungen für eine solche Ausbildung. Wenn du ernsthaft daran interessiert –«
»Das bin ich. Man muss tun, was man kann, oder?«
»In England würdest du eine bessere Ausbildung bekommen«, fuhr Nefret fort. »Ich kann dir einige Referenzen nennen.«
»Es muss doch etwas geben, was ich hier tun kann!«
»Einige Damen haben Komitees gegründet«, warf ich ein. »Sie treffen sich zum Tee und wickeln Verbandsrollen.«
»Das ist immerhin besser als gar nichts«, erklärte Anna. Sie richtete ihren Blick auf Ramses, der das nicht zu bemerken schien. Aha, dachte ich, daher weht der Wind. Ihr geliebter Bruder war in Frankreich. Ich hoffte nur, dass sie Ramses’ Federsammlung nicht vergrößern würde. Unverhohlene Verachtung war noch heikler als unwillkommene Zuneigung.
Es war uns gelungen, eine Loge für die diesjährige Opernsaison zu bekommen, da viele der früheren Besucher Ägypten verlassen hatten – freiwillig oder nachdem sie zu Landesfeinden erklärt worden waren. An jenem Abend wurde Aida gegeben, eine von Emersons Lieblingsopern, da die Musik sehr laut ist und die Interpretation der ägyptischen Kostüme und Bühnenbilder ihm jede Möglichkeit zur Kritik bietet.
Da ein Automobil nicht genug Platz für alle bot, fuhr Nefret mit uns und Ramses mit den Vandergelts. Sehr zu seinem Unmut hatte ich Emerson schließlich überzeugen können, dass Selim uns an diesem Abend chauffierte. Der werte Leser vermag sich nicht vorzustellen, wie sehr ich es genoss, dass Emerson NICHT selbst fuhr. Er sah hinreißend aus mit seiner weißen Fliege, dem Nonplusultra für Logeninhaber.
»Ich wünschte, Ramses würde die Freundlichkeit besitzen, uns im Vorfeld über seine Pläne zu informieren«, sagte ich, während ich Emersons Zylinder an mich nahm, damit er sich nicht darauf setzte oder ihn aus dem Fenster warf. »Ich ging davon aus, dass er uns begleiten würde, bis er in konventioneller Abendkleidung ohne Fliege auftauchte.«
»Wo liegt da ein Unterschied?«, brummte Emerson. »Was hat er vor?«
»Ich habe mich nicht erdreistet, ihn zu fragen, mein Schatz. Er ist erwachsen und nicht verpflichtet, uns Rechenschaft über seine Aktivitäten abzulegen.«
»Hmhm«, murmelte ich. »Nefret, ich nehme nicht an, dass du –«
»Nein«, antwortete Nefret. »Vielleicht hätte ich vorab erwähnen sollen, dass ich nicht mit euch zurückfahre.«
»Hast du irgendetwas mit Ramses geplant?«
»Wie ich dir bereits sagte, kenne ich seine Pläne nicht genau, ich bin nur darüber informiert, dass sie mich nicht einschließen.«
»Wo bist du – autsch!«
Emerson entfernte seinen Ellbogen aus meiner Rippengegend und begann, lautstark über Wagner zu reden.
Als die Vandergelts sich zu uns in die Loge gesellten, erklärte Katherine – in Beantwortung meiner Frage –, dass sie Ramses vor dem Savoy abgesetzt hätten. Dieses Hotel gehörte beileibe nicht zu seinen bevorzugten Aufenthaltsorten; sicherlich beabsichtigte er, jemanden zu treffen, der dort logierte, oder eine Nachricht zu hinterlegen.
Meine Spekulationen brachten mich nicht weiter, deshalb verdrängte ich die Frage vorübergehend.
Vizekönig Ismail hatte das Opernhaus im Zuge seiner Modernisierung Kairos erbauen lassen, anlässlich der Vorbereitungen für den Besuch von Kaiserin Eugénie, die 1869 den Suezkanal einweihte. Man munkelte, dass Ismail unsterblich verliebt in die französische Kaiserin war; er hatte ihr nicht nur einen prachtvollen Palast, sondern auch eine Brücke bauen lassen, um dorthin zu gelangen, und eine Straße nach Gizeh, so dass sie die Pyramiden bequem erreichen konnte. Das Opernhaus war aufwendig gestaltet mit vergoldetem Inventar, dunkelroten Samtbehängen, mit Goldbrokat bezogenen Sesseln. Für die Eröffnung hatte Ismail Aida in Auftrag gegeben, doch Verdi vollendete sie erst zwei Jahre später, so dass der Khedive und die Kaiserin sich mit Rigoletto begnügen mussten. Mehrere Logen waren für die Damen aus Ismails Harem bestimmt gewesen; abgeschirmt von den Blicken des Publikums waren sie inzwischen für muslimische Damen reserviert.
Katherine und ich nahmen als Erstes unsere Opernglä ser zur Hand, um zu sehen, wer sich eingefunden hatte, in welcher Begleitung und Garderobe. Ich rechtfertige mich keineswegs für diese Aktivität, die Emerson mit
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