Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
hat. Es waren ihre schlüpfrigen Beschreibungen des Harems und seiner Bewohnerinnen und der … äh … Avancen, die der Emir ihr gemacht hat.«
»Tatsächlich? Hat er … hmmm …«
»Laut Miss Minton«, versetzte ich, »stand er im Begriff, seine Skrupel zu überwinden – soweit vorhanden –, als sie von einem attraktiven, faszinierenden, mysteriösen Helden gerettet wurde.«
Emerson verschluckte sich an seinem Wein. Nachdem er sich wieder gefasst hatte, rief er: »Peabody! Es war doch nicht … Nein, es kann nicht sein …«
»Nein, Emerson, es kann nicht sein«, wiederholte ich. »Ich glaube weder an ihren obskuren Adonis noch an die überaus blumige Schilderung ihrer Beziehung zu dem Emir. Sie wurde nicht gefangen genommen; sie ging nach Hayil – ritt, besser gesagt – auf der Suche nach einer packenden Geschichte, und ich nehme an, dass Ibn-Rashid sie vor die Tür gesetzt hat, als er ihre ständige Fragerei satt hatte. Wir sollten uns wichtigeren Themen zuwenden. Warum sind Sie nicht in Luxor, Howard?«
Howard öffnete den Mund, doch noch ehe er antworten konnte, warf Emerson ein: »Ja, warum eigentlich nicht? Wie ich hörte, sind die ortsansässigen Diebe unverfrorener denn je – sie graben bei Dra Abul Nagga und stehlen sogar Statuen aus Legrains Lagerräumen in Karnak.«
»Woher wissen Sie das? Oh … von Selim, vermute ich. Er müsste bestens informiert sein; halb Gurneh zählt zu seinen Freunden und Verwandten. Aber ganz so schlimm ist es nicht, Professor. Ihr Grab ist nicht angetastet worden, falls es das ist, was Sie beunruhigt.«
Genauer gesagt handelte es sich um das Grab der Königin Tetisheri, das wir vor einigen Jahren entdeckt und freigelegt hatten. Wir hatten die Grabbeigaben entfernt – eine verflixt schwierige Aufgabe –, aber in einer Kammer befanden sich hervorragend erhaltene Wandmalereien, und die Diebe schreckten nicht davor zurück, Fragmente solcher Reliefs herauszuhauen und auf dem illegalen Antiquitätenmarkt anzubieten. Solche Stücke waren beliebt bei den Sammlern.
»Waren Sie drin?«, erkundigte sich Emerson.
»Niemand ist dort unten gewesen, Sir, da Sie die Tore verschlossen und sich geweigert haben, der Antikenverwaltung den Schlüssel auszuhändigen.« Howard grinste anerkennend. Er hatte sich mit besagter Institution überworfen, was dazu führte, dass er seine Position als Inspektor von Oberägypten verlor, und er billigte Emersons eigenmächtige Handlung voll und ganz.
»Wie wollen Sie dann wissen, dass es nicht geschändet worden ist? Zum Teufel noch«, setzte Emerson hinzu.
Ich brachte meinen Gatten von diesem Thema ab, indem ich mich nach Howards neuerlichen Aktivitäten im Tal der Könige erkundigte – einem der Täler, um korrekt zu sein, denn es gibt zwei. Das Osttal ist das von Touristen besuchte. Das Westtal findet kaum Beachtung, da sich dort nur zwei Königsgräber befinden, beide entlegen und in schlechtem Zustand. Howard hatte mehrere Wochen damit zugebracht, eines davon zu erforschen.
Das erwies sich als ein Fehler meinerseits. Emerson war selber erpicht auf die Arbeit im Tal gewesen; nach Jahren der Frustration, während der er die unsachgemäßen Exkavationen unter der Führung des Amerikaners Theodore Davis beobachtet hatte, war die Konzession an einen weiteren betuchten Dilettanten übergegangen – Lord Carnarvon. Nach meinem Dafürhalten war Emerson ein wenig ungerecht zu diesem Herrn, der wesentlich gewissenhafter arbeitete als Davis und der so viel Gespür besaß, Howard einzustellen und ihm die eigentliche Ausgrabungstätigkeit zu übertragen; dennoch war es noch immer ein heikles Thema. Sein Abendessen mit wilden Messerstichen traktierend, verlangte Emerson Einzelheiten von Howard und ließ ihn dann kaum zu Wort kommen, da er ihn nach fast jedem Satz unterbrach.
»Sie hatten nicht das Recht, an dieser Grabstätte zu arbeiten, wenn Sie ohnehin nur einen Monat damit zubringen wollten. Amenophis der Dritte war einer der berühmtesten Pharaonen von Ägypten und sein Grab könnte entscheidende Hinweise auf eine besonders bedeutsame Periode liefern.«
»Nun, Sir, sehen Sie …«
»Im Osttal sind wenigstens Touristen und ein paar autorisierte Wachleute. Ins Westtal verirrt sich niemand. Niemand außer Vandalen und Dieben; jetzt, da Sie deren Interesse geweckt haben, haben diese Halunken vermutlich schon alles Wertvolle entfernt, was Sie übersehen haben. Wie weit sind Sie vorgedrungen?«
»Zum Eingangsschacht und zur Vorhalle.«
»Ja,
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