Amelia Peabody 13: Der Herr der Schweigenden
Tropenhelms, warf ihn zu Boden, wischte sich die schweißfeuchte Stirn mit seinem Ärmel und holte tief Luft – zur Vorbereitung auf einen langen, lauten Vortrag, nahm ich an. Seine Heldenbrust plusterte sich auf.
»Denk an deine Hemdknöpfe, Emerson«, ermahnte ich ihn. »Einige von ihnen sind bereits lose, und ich habe es langsam satt, sie ständig anzunähen.«
»Was? Oh.« Emerson blickte an sich hinunter. »Peabody, du verstehst es doch immer wieder, mir den Wind aus den Segeln zu nehmen.«
»Verzeih mir, mein Schatz. Fahre fort.«
»Hmhm. Ich wollte gerade anführen, dass sich in diesen verfluchten Pyramiden rein gar nichts befindet, dass sie bedrohlich einsturzgefährdet sind und dass ich darüber nicht entscheiden kann. Wir werden hier nur geduldet.«
»Das sind schlichtweg Ausflüchte. Sie sind Teil von Herrn Junkers Konzession, und du hast noch nie gezögert, die Vorschriften zu umgehen, wenn dir danach war. Wer sollte dich daran hindern?«
» Dich daran hindern, meinst du. Er steht vor dir, Peabody.«
»War ja nur ein Vorschlag«, lenkte ich ein, denn ich hatte gelernt, wie man mit einem halsstarrigen Emerson umgeht. Am besten, man wartet ab und geht ihn aus einer anderen Richtung zu einem anderen Zeitpunkt erneut an. »Wir werden selbstverständlich die Arbeiten an der Mastaba fortführen.« Und dann machte ich den fatalen Fehler hinzuzufügen: »Wir haben das Geröll den ganzen Weg bis zum Rand der Böschung gekarrt. Vielleicht sollten wir einen näheren Abladeplatz finden. Der im Südwesten beispielsweise, den Junker und Reisner benutzt haben.«
Emerson sagte: »Hmmmm«, und rieb sich sein Kinn.
Bis zum Spätnachmittag sah ich ihn nicht wieder. William hatte die Freilegung der Grabkammer abgeschlossen und wollte wissen, was er als Nächstes in Angriff nehmen sollte. Inzwischen verstanden wir beide uns recht gut, aber er hätte es nie gewagt, auch nur eine Tonscherbe anzurühren ohne Emersons Erlaubnis.
Erst nachdem ich das Gelände abgesucht und mehrmals seinen Namen gebrüllt hatte, bemerkte ich die mir vertraute Gestalt, die auf mich zustrebte. Er war barhäuptig, wie üblich, und von den Haar- bis zu den Stiefelspitzen staubbedeckt. Seine Hemd- und Hosentaschen beulten sich aus. Seine Hände sahen aus wie die eines Schwerarbeiters, die Nägel eingerissen, die Finger aufgeschürft.
»Um Himmels willen, Emerson, was hast du so lange gemacht?«, wollte ich wissen.
»Gegraben. Das ist die vorrangige Beschäftigung eines Archäologen, mein Schatz. Ich fand …«
»Wo sind deine Handschuhe?«
»Verflucht, wenn ich das wüsste. Reg dich nicht auf, Peabody. Ich beschloss, den Schuttabladeplatz zu untersuchen, von dem du gesprochen hast. Wusstest du, dass keiner unserer Vorgänger es für nötig befunden hat, das Geröll zu sieben? Ich habe in diesem Schutthaufen einige interessante Dinge gefunden.«
Er fing an, seine Taschen zu leeren. Auf den ersten Blick wirkten die Steinsplitter wie Geröll, aber Emersons geschultes Auge lässt sich nicht täuschen. Bei näherem Hinsehen erkannte ich, dass es sich bei einem Fragment um einen winzigen Fuß handelte, der zu einer Statuette gehört haben musste.
»Sehr hübsch«, bemerkte ich. »Aber kaum der Mühe wert.«
»Diese Äußerung«, entgegnete Emerson und bedachte mich mit strafendem Blick, »verletzt sämtliche archäologischen Grundprinzipien, die ich dir mühevoll beigebracht habe. Kein Splitter ist zu klein, keine Mühe zu groß.«
»Das Stelenfragment, das Sennia fand, hatte jemand vergraben, Emerson.«
Emerson zog eine Grimasse. Er verabscheut es, wenn ich seinen Überlegungen auf die Spur komme. »Das war Gargerys Theorie. Was weiß er schon von Exkavation? Ich jedenfalls habe sie genossen. Es ist schon lange her, dass ich mir die Hände schmutzig gemacht habe.«
»Unsinn, du hast ständig schmutzige Hände – von den Abschürfungen, Schnittwunden und Prellungen ganz zu schweigen. Du hättest wenigstens Handschuhe tragen können.«
»Welche Handschuhe?«
Eine entsetzliche Vorahnung befiel mich. »Emerson, du hast doch nicht etwa vor, diesen Schutthaufen abzutragen und durchzusieben, oder? Er ist sechs Meter hoch und umfasst Hunderte von Quadratmetern!«
»Irgendjemand muss es eines Tages tun, Peabody. Das kann man nicht einfach auf sich beruhen lassen. Darunter könnten sich Gräber befinden.«
»Hier, direkt vor deinen Augen, sind Unmengen von Gräbern. Und Pyramiden.«
Emerson reagierte inzwischen auf diesen Begriff allergisch.
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