Amelia Peabody 14: Die goldene Göttin
hatte mir hoch und heilig versprechen müssen, dass er nicht auf eigene Faust die Wildnis durchstreifen und nach Jamils Grab suchen werde. Ich hatte sein Wort darauf; indes waren seine Hände hinter seinem Rücken gewesen, und ich vermutete, er hatte seine Finger gekreuzt. Obwohl Katherine mich nicht kritisierte, fragte sie sich ganz bestimmt, wie wir sie zu einem solchen Zeitpunkt verlassen konnten.
Emerson hatte ausgeführt, dass ich sie nicht verlassen müsse. Schließlich gebe es keinen Grund für mich, nach Kairo zu reisen, meine Anwesenheit werde eine ohnehin schwierige Situation nur unnötig verschärfen. Die Aufforderung gelte – »Ramses«, fiel ich ihm gekonnt ins Wort. »Dich hat auch keiner gefragt.«
»Wenn du denkst«, tönte Emerson stimmgewaltig, »dass ich den Jungen allein mit diesem Halunkenpack aus dem Kriegsministerium verhandeln lasse, dann bist du –«
Exakt meine Meinung«, unterbrach ich ihn.
Worauf Emerson vor Lachen brüllte und mich stürmisch umarmte. »Peabody, wenn du dein Kinn reckst und mich mit diesem stahlharten Blick musterst, dann weiß ich, ich habe verloren.«
»Du wolltest, dass ich mitkomme. Gib’s zu.«
»Mmmh«, murmelte Emerson an meinen Lippen. Wir nahmen den Nachtzug und fuhren dann umgehend ins Shepheard’s. Der Dienst habende Sufragi begrüßte uns wie gute alte Bekannte und fragte nach unseren Wünschen.
»Frühstück«, sagte ich wie aus der Pistole geschossen, unterdessen entledigte Emerson sich diverser Kleidungsstücke, indem er sie schlicht durch das Zimmer katapultierte. Emerson war gegen einen Hotelaufenthalt gewesen und hatte den ersten erreichbaren Zug zurück nach Luxor nehmen wollen, doch selbst er musste einräumen, dass wir dieses Gesuch des Kriegsministeriums nicht so brüsk ablehnen durften wie die vorangegangenen Bestrebungen, Ramses wieder in dessen Dienste zu stellen.
»Ganz entschieden nicht«, betonte Ramses. »Smith hat uns praktisch nichts enthüllt, aber sie hätten mich nicht hergebeten, es sei denn, sie haben gewisse Vorstellungen, wie man ihn lokalisieren kann. Wir müssen ihn finden, Vater. Falls er in Kriegsgefangenschaft ist –«
»Falls?«, schnaubte sein Vater. »Glaubst du, er ist ein Überläufer und ein Verräter?«
Früher hätte Emersons grimmige Miene Ramses eingeschüchtert. Jetzt hielt er dem Blick jener zu Schlitzen verengten blauen Augen stand und lächelte. »Merkwürdig zu hören, wie du ihn verteidigst, Vater. Gute Güte, ich will es genauso wenig glauben wie du! Aber der Mann ist ein Mysterium – verbittert, zynisch und unkalkulierbar.«
»Hmph«, knurrte Emerson. »Na schön. Je eher wir erfahren, was Murray uns zu sagen hat, umso besser. Sollen wir aufbrechen?«
»General Murray?«, wiederholte ich. »Was hat er damit zu tun? Ihr habt ja nicht einmal einen Termin mit ihm.«
»Du kennst meine Taktik, Peabody – direkt zur Führungsspitze vordringen und Subalterne übergehen. Er wird mich empfangen, wenn ich ihn sehen will. Bist du fertig, Ramses?«
Ich hätte darauf gedrängt, sie zu begleiten, wenn ich auch nur die kleinste Chance gewittert hätte, dass der General mir oder Nefret gestatten würde, an der Diskussion teilzunehmen. Männer sind sehr subjektiv in ihrer Sichtweise der Frau – und Militärbeamte sogar noch katastrophaler.
Ich reichte Emerson seinen Mantel – er wäre in Hemdsärmeln aus dem Zimmer gestapft, wenn ich nicht darauf geachtet hätte – und half ihm hinein. »Kommt umgehend wieder her«, befahl ich.
»Mph«, antwortete Emerson.
»Ja, natürlich«, sagte Ramses mit einem Lächeln zu Nefret.
Aus Manuskript H
Murray ließ sie eine halbe Stunde warten. Es war nicht lange, gemessen an seinem vollen Terminkalender und an der Tatsache, dass er sie nicht erwartet hatte, dennoch nahm Emerson es als persönlichen Affront. Als man sie schließlich in das Büro des Generals bat, war Emerson extrem ärgerlich und machte daraus auch keinen Hehl.
»Was zum Teufel wollen Sie damit bezwecken, dass Sie uns hier ewig warten lassen? Es kam mir verflucht ungelegen, hier so plötzlich erscheinen zu müssen. Sie nennen mir besser einen guten Grund, warum Sie mich von der Arbeit abhalten.«
Murrays Haar lichtete sich. Die fliehende Stirn betonte sein langes Gesicht, das in ernste Falten gelegt war, und der Mund unter dem sorgsam gestutzten, ergrauten Bart zuckte, als Emerson sprach. Ramses hatte gehört, dass Murray 1915 einen Nervenzusammenbruch erlitten habe, nachdem er als Stabschef der
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