Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
anziehend aus in dem von mir ausgesuchten, saloppen Tweedanzug (mit eingewebtem blauem Wollfaden, passend zu seiner Augenfarbe). Die Sachen, die ich notgedrungen für Ramses bestellt hatte, waren eingetroffen, und Sethos hatte sich großzügig bedient: Er trug ein elegantes Dinnerjackett mit schwarzer Fliege. Vermutlich um Emerson zu ärgern. Nefrets Kleid war an Ausschnitt und Saum mit goldschimmernden Perlen bestickt. Sennia musterte sie neidisch. »Ich wünschte, ich hätte so ein Kleid!«, seufzte sie.
Nefret umarmte sie flüchtig. »Wenn du ein bisschen älter bist. Dein Kleid steht dir doch sehr gut.«
Nach meinem Dafürhalten war es zu sehr gerüscht. Sennia liebte Rüschen. Nun ja, zu einem jungen Mädchen passte es, und das Blassrosa unterstrich ihr schwarzes Haar und den karamellfarbigen Teint.
Zu Ehren der neu eingetroffenen Gäste hatten Cyrus und Katherine sich mächtig ins Zeug gelegt: Feinstes Porzellan, Kristall und Blumengebinde in silbernen Vasen schmückten den Tisch. Es war Sennias erster Ausflug ins Erwachsenenleben, und Bertie führte sie an ihren Platz. Sie setzte sich anmutig und betrachtete andächtig die schön gedeckte Tafel.
»Ich weiß, welche Gabel ich wann benutzen muss«, raunte sie Bertie sachverständig zu.
»Dann zeig es mir bitte auch«, bat Bertie. Sie waren die weltallerbesten Freunde, nachdem sie ihn, als er an seiner Kriegsverletzung litt, betreut und bei Laune gehalten hatte. Ob ihre jugendliche Schwärmerei inzwischen ihm galt, überlegte ich, ihr Lächeln und ihren flirtenden Blick interpretierend. Als Kind hatte sie Ramses heiraten wollen, den sie abgöttisch verehrte. Jetzt war sie dreizehn und damit in einem Alter, wo Heranwachsende allmählich Gefallen am anderen Geschlecht finden.
»Und mir bitte auch«, sagte Jumana über den Tisch. Sie und Sennia glucksten verschmitzt. Sie hatten sich nicht immer gut verstanden, waren sich aber dieses Mal einig, dass sie Suzanne von ganzem Herzen verabscheuten. Die junge Französin hatte nämlich den fatalen Fehler begangen, Sennia wie eine Sechsjährige zu behandeln. Sie hatte sich nach ihren Puppen erkundigt und gelacht, als Sennia schlagfertig geantwortet hatte, sie habe es mehr mit Uschebtis.
Nadji hatte einen positiveren Eindruck hinterlassen. Er begrüßte Sennia wie uns andere mit knapper Verbeugung und Handschlag und hielt sich dann wie üblich bescheiden zurück. Meine verstohlenen Blicke zu ihm signalisierten mir jedoch, dass er aufmerksam lauschte und beobachtete. Sein starres, liebenswürdiges Lächeln war mir irgendwie nicht geheuer. War er wirklich so schüchtern, wie er immer tat, oder verbarg er etwas vor uns? Laut Cyrus arbeitete er fleißig und gewissenhaft. Selbst mein pedantischer Mann fand nichts an ihm auszusetzen. Wie nicht anders zu erwarten, kreiste die Unterhaltung alsbald um Tutanchamons letzte Ruhestätte. Und jeder wusste etwas anderes zu berichten.
»Irgendwann kann er nicht mehr anders, dann muss er gewisse Leute reinlassen«, meinte Cyrus. »Die Honoratioren der Stadt haben sich schon beschwert.«
»Sie auch?«, wollte Nefret wissen.
Cyrus hüstelte selbstgefällig. »Um ehrlich zu sein, hab ich Carter in einem netten Brief zu dem Fund beglückwünscht. Ich dachte, er antwortet mir oder reagiert mit einer Einladung, aber Pustekuchen! Na ja, er war ja auch länger weg.«
»Sie brauchen ihn nicht auch noch in Schutz zu nehmen«, erregte sich Sethos. »Ich denke, er schert alle über einen Kamm: Sie, uns, die Würdenträger von Kairo wie von Luxor. Sagen wir mal so, er benimmt sich, als wäre das Grab sein und Carnarvons privates Eigentum. Etliche Leute haben sich schon beschwert und die ägyptische Presse läuft mittlerweile Sturm.«
»Er steht unter höchster Anspannung«, meinte Ramses. »Ihr wisst doch aus eigener Erfahrung, wie nervenaufreibend es ist, wenn einen andauernd neugierige, bil dungshungrige Zeitgenossen umlagern.«
»Vermutlich ist die Sache noch komplexer«, gab ich zu bedenken. »Nein, Emerson, kein Grund zur Aufregung, das hat nichts mit Tiefenpsychologie zu tun, sondern mit dem gesunden Menschenverstand, über den ich nun einmal verfüge. Nach all den Jahren der Anfeindung und Kritik hat Carter jetzt den Vogel abgeschossen. Dass ihm das zu Kopf gestiegen ist, erstaunt mich nicht. Die Leute, die sich über seine einfache Herkunft und über seine Umgangsformen mokierten, buhlen inzwischen um seine Gunst. Unterbewusst – ähm – ich meine, ohne dass er es selbst realisiert
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