Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
überdies noch genießen.«
»›Genießen‹ ist vielleicht nicht der treffende Ausdruck. Trotzdem würde mir etwas fehlen, wenn es nicht so wäre.« Lächelnd, ihre Züge weich im diffusen Licht, sah sie wieder so aus wie das junge Mädchen, in das er sich in den Schluchten des Heiligen Berges verliebt hatte. Er zog sie fester an sich.
Sie hatte Recht – sehr, sehr Recht. Sie hatten kaum Zeit füreinander, mit den Zwillingen und seinen Eltern. Irgendeiner wollte immer irgendetwas von ihnen. Wann hatte er ihr das letzte Mal gestanden, wie unendlich viel sie ihm bedeutete? Gewiss, ihre Beziehung hatte Höhen und Tiefen, aber das machte sie nur reizvoller.
Unvermittelt traf Ramses eine Entscheidung, die er seit Wochen vor sich herschob. Er würde mit Nefret darüber diskutieren müssen – allerdings nicht jetzt, da ihre Wärme in seinen Körper flutete und er ihren sanft wogenden Atem auf seiner Haut spürte. Er seufzte tief, als Gurgars lautes Rufen das Eintreffen der Polizei ankündigte.
Aziz führte ein straffes Regiment. Seine Männer, adrett in weißen Uniformen, ließen die Soldaten in ihrem staubigen, schlecht sitzenden Schwarz noch schäbiger aussehen. Der Bereich vor Tutanchamons Grab war hell erleuchtet, eine Sicherheitsvorkehrung, die Ramses begrüßte. Er schüttelte Aziz die Hand, dessen bärtiges olivfarbenes Gesicht eine gewisse Befriedigung spiegelte. Die Aufgabe der Grabüberwachung war der Armee zugefallen und nicht ihm. Damit besaß er die übergeordnete Autorität.
Nefret und Aziz waren inzwischen gute Bekannte; sie hatte der Polizei bei einer Reihe von Obduktionen assistiert und hielt große Stücke auf den Mann. Ramses mutmaßte jedoch, dass Aziz’ Empfindungen für sie über die reine Bewunderung hinausgingen. Stets der vollkommene Gentleman, beugte sich der Polizeibeamte über ihre Hand, bevor sie zum Dienstlichen kamen.
»Berichten Sie mir, was Sie gehört und gesehen haben. Bitte beschränken Sie sich auf das Wesentliche.« Ramses lieferte ihm eine kurze Schilderung des Vorfalls, worauf Aziz anerkennend nickte. »Bitte, zeigen Sie mir alles.«
Die Klippen des engen Seitenwadis sperrten das Licht der Sterne und des aufgehenden Mondes aus. Erhellt von dem Schein der Taschenlampen wirkte der Tote noch grässlicher, noch monströser.
Nach einer kurzen, sachverständigen Bestandsaufnahme strich Aziz sich über den ordentlich gestutzten Bart und sagte: »Fürchte, es wird schwierig werden, Fotos zu machen. Tja, wir müssen es trotzdem probieren.«
»Herrje«, murmelte Nefret betroffen. »Die hätte ich doch längst machen können, Mr Aziz.«
»Sie haben sich nichts vorzuwerfen, Madam. Gewiss haben Sie den Leichnam untersucht, mmh?«
»Nur oberflächlich. Ich wollte hier nichts verändern. Für ihn kam ohnehin jede Hilfe zu spät, und an der Todesursache besteht kein Zweifel. Die Wucht der Explosion zerfetzte ihm Kopf und Brustkorb.«
»Dann hielt er den Sprengstoff fest oder beugte sich darüber. Das ist mir gelinde gesagt unerklärlich«, meinte Aziz trocken. »Die Leute hier wissen mit Dynamit umzugehen. Er wäre doch nicht dabei stehen geblieben, nachdem er die Lunte gezündet hatte.«
»Es war kein Dynamit«, wandte Ramses ein. Er richtete den Strahl der Taschenlampe auf einen Gegenstand am Boden. Etwas blitzte auf. »Das ist Glas, beziehungsweise der Rest eines kleinen Glaskolbens. Und da sind … Splitter von einem Rohr.«
»Ein Rohr?«, entfuhr es Aziz. »Eine Splitterbombe? Ich hab zwar von solchen Dingen gehört –«
»Eine äußerst simple Bombe«, bekräftigte Ramses. »Und kinderleicht herzustellen. Sie nehmen ein Stück Eisenrohr mit verschraubten Kappen. Darin befindet sich eine Metallhülse, gefüllt mit Pikrinsäure. Nun stecken Sie einen schmalen Glaskolben in ein Ende des Rohrs. Dieser enthält Nitriersäure und wird mit einem Wattepfropfen verschlossen. Die Mischung ist völlig harmlos, solange das Rohr aufrecht steht; wird es aber geneigt, sickert die Nitriersäure durch die Baumwolle und vermischt sich mit der anderen Chemikalie und –«
»– dann explodiert das Gemisch«, schloss Aziz. »Kennen Sie sich mit dergleichen aus?«
Er klang argwöhnisch, aber das war typisch für Aziz. »Sprengstoffe gehören nicht zwangsläufig zu meinem Interessengebiet«, versetzte Ramses trocken. »Thomas Russell, der Kairoer Polizeikommandant, sprach vor nicht allzu langer Zeit von derartigen Substanzen und erklärte mir die Wirkungsweise.«
Aziz’ verkniffene Miene
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