Amelia Peabody 18: Das Königsgrab
wirbelte Abdullah zu mir herum. Seine Miene düster, zischte er ungewöhnlich heftig: »Es gehört nicht ihm und es gehört nicht euch. Es gehört den Ägyptern und allen Menschen auf dieser Welt. Sitt, du bist doch sonst nicht so begriffsstutzig. Bewache das Grab, nicht nur vor gewieften Plünderern wie den Ibn Simsahs, sondern auch vor den raffgierigen Männern, die die Schätze für sich allein haben wollen.«
8. Kapitel
»Damit bezog er sich auf Carter und Carnarvon«, erklärte ich.
Beim Frühstück hatte ich der versammelten Familie von meiner nächtlichen Begegnung mit Abdullah erzählt. Anfangs hatte ich diese Träume geheim gehalten, doch mittlerweile wussten alle, einschließlich der Dorfbewohner am Westufer, davon, und mögliche Skepsis oder Konsterniertheit ließ mich längst kalt. Nicht dass ich damit des Öfteren konfrontiert worden wäre. Für die Kurnawis war Abdullah eben ein Heiliger. Ramses und Nefret verhielten sich neutral – aufgeschlossen, sollte ich vielleicht besser sagen. Emerson beschränkte seine Zweifel inzwischen auf ein Hochziehen der Brauen und unzusammenhängendes Gegrummel. Meistens jedenfalls.
»Nicht nur auf die beiden«, meinte Ramses, während er Fatima ein Schälchen Porridge abnahm. »Das Metropolitan Museum wird seinen Anteil bekommen, wie das in der Vergangenheit bei solchen Institutionen gängige Praxis war.«
Nefret schmunzelte. »Hättet ihr etwa gedacht, dass der gute alte Abdullah nationalistische Sympathien hegen könnte?«
»Verdammt ähnlich denen, die Peabody hat«, knurrte Emerson.
»Immer schön fröhlich bleiben, mein Lieber«, versuchte ich ihn aufzuheitern. »Entweder treffen meine Visionen zu oder Abdullah ist ein Produkt meines Unterbewusstseins.«
»Unterbewusstsein – so ein Kokolores«, schnaufte der Professor.
»Wie du meinst«, gab ich lächelnd zurück.
»Wir haben kaum noch Speck«, meinte Fatima. »Und ich brauche Rosinen für die Weihnachtsbäckerei. Würde es dir etwas ausmachen, Vorräte für mich zu bestellen, Sitt?«
»Mach ruhig eine Einkaufsliste«, schlug ich vor. »Die schick ich dann nach Kairo weiter.«
Ihr Versuch einer Gesprächswendung klappte nicht.
Prompt schlug Emerson in die Kerbe und erkundigte sich sarkastisch: »Wieso bestellst du nicht gleich bei Fortnum & Mason? Seine Lordschaft ordert ebenfalls dort. Räucherlachs, Zunge in Aspik und Rebhuhnragout in Dosen, gute Güte, der Armleuchter.«
»Das wäre wirklich übertrieben, Emerson«, entgegnete ich. »Um noch einmal auf mein Gespräch mit Abdullah zurückzukommen. Seine andere Empfehlung lautete, dass wir den Kindern diesmal ein besonders schönes Weihnachtsfest ausrichten sollen. Uns bleibt nur noch eine Woche für die Vorbereitungen, dafür aber jede Menge zu tun. David John muss mit dem Porträt anfangen. Das hat Abdullah sich ausdrücklich gewünscht.«
»Wie soll der Kleine denn ein Bild von einem Mann malen, den er nie gesehen hat?«, erkundigte sich Emerson skeptisch.
»Wir haben Fotos«, sagte ich leichthin. »David kann ihm dabei helfen. Nicht wahr, David?«
»Selbstverständlich. David John ist ein talentierter kleiner Künstler.«
Als wir mit dem Frühstück fast fertig waren, stürmte Sennia herein. Ich stellte fest, dass sie ihre »Arbeitsgarderobe« trug, die meiner und Nefrets verdächtig ähnlich sah, nur dass sie einen weiten Rock statt einer Hose anhatte. »Wieso habt ihr mich nicht geweckt?«, maulte sie. Sie glitt auf den Stuhl, den Ramses ihr hinschob. »Ich komme heute mit euch.«
»Eine Heranwachsende braucht ihren Schlaf«, erwiderte ich. »Möchtest du Fatima nicht lieber helfen, das Haus zu schmücken und Weihnachtsplätzchen zu backen?«
»Das können die Kinder machen«, versetzte Sennia überheblich. »Ich möchte mir lieber Tutanchamons Grab anschauen.«
»Wir gehen aber gar nicht dorthin«, sagte Emerson. Er klang wenig überzeugend. Nachdem wir Sennia schon im zarten Alter von zwei Jahren zu uns genommen hatten, mochte der Gute ihr so leicht nichts abschlagen. »Vielleicht sollten wir das doch tun, Vater«, schlug Nefret vor. Sie schob sich einen Bissen Toast in den Mund und nahm sich eine weitere Scheibe. »Ich dachte, Mr Aziz würde sich bis heute Morgen bei mir melden, aber es kam keine Nachricht.«
»Er ist sehr zurückhaltend in solchen Dingen«, sagte ich. »Gut möglich, dass er darauf wartet, dass du ihm von dir aus Unterstützung anbietest.«
»Was kann sie denn schon groß tun?«, gab der Professor zu bedenken.
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