Amelie und die Liebe unterm Regenschirm
censeo würde sie sagen und ihm den Bären schenken.
Vorsichtig kroch sie unter Daniels Extremitäten hervor und machte sich leise an den Abstieg. Als sie den Fuß auf die Leiter setzte und nach unten sah, stockte sie. August saß nicht mehr in seinem Stühlchen, sondern auf der untersten Stufe der Leiter, die Glasaugen nach oben gerichtet, als erwarte er sie.
Amelie begriff das nicht. Kopfschüttelnd kletterte sie weiter abwärts. Als sie August um die Mitte fassen wollte, sah sie über seiner Pfote etwas glitzern. Es war ein goldener Armreif in Form einer Schlange, das Köpfchen mit Brillanten und Saphiren besetzt. Ein altes Schmuckstück.
Amelie ließ sich neben dem Bären auf die Stufe fallen, schluckte und begann zu heulen.
»Hallo mein Herz, du weinst doch nicht an unserem ersten gemeinsamen Morgen?«, Daniel lächelte auf sie herunter.
»O ja«, schnüffelte Amelie. »Ich wollte August holen, ich wollte ihn dir schenken. Und da sitzt er schon hier… so…« Sie deutete auf den Armreif.
Daniel rutschte tiefer, bis er auf der Stufe über ihr saß, streifte den Reif von Augusts Pfote und legte ihn um Amelies Handgelenk. »Er ist von meiner Mutter.«
Sie schwieg und schluckte und rieb ihren Kopf an seinen Knien, bis ihr Haar zu knistern begann. Als sie sich umwandte, um ihn anzusehen, fasste er sie um die Mitte und zog sie zu sich herauf.
»Komm ins Bett zurück. Ich bin unglaublich sportlich, aber ich weiß nicht, ob meine Kondition langt, um dich auf einer Hühnerleiter zu lieben.«
»Wie fühlst du dich?«, flüsterte er eine Stunde später zufrieden lächelnd an ihrem Ohr.
Amelie dachte eine Weile nach. Sie wollte ihm eine Antwort geben, die ihren Zustand möglichst genau umschrieb. »Ich fühle mich zentriert«, sagte sie schließlich.
16
Die Feiertage blieben sie, mehr oder weniger ineinander verstrickt, im Salettl. Sie hatten nicht das Bedürfnis, einander mit Worten zu erforschen, weil sie es mit allen Sinnen taten. Und sie sprachen nicht darüber, wie es mit ihnen weitergehen würde.
Der beglückende Schwebezustand endete mit den Feiertagen. Lilo Platzer rief an, um Amelie daran zu erinnern, dass sie sich für die nächsten Tage open end im Laden verabredet haben. Und Daniel seufzte, er müsse in die Kanzlei. Als er in seine Hosen schlüpfte, grinste er.
»Ich weiß, was du komisch findest: dass du zwei Tage lang ohne warst«, sagte Amelie und schnupperte an seiner Haut, ehe sie ihm seinen Pullover reichte.
Er küsste sie nicht zum Abschied, er drückte sie der Länge nach an sich, als wolle er ihren Körper in seinen holen, um ihn mit sich zu nehmen. »Bis heute Abend.« Weg war er.
Amelie wunderte sich, dass sie das Ende dieser abgehobenen Tage weder wehmütig noch nachdenklich machte. Vielleicht lag es an ihrer Gewissheit, dass Daniel und sie einander nicht festhalten mussten, um eins zu sein.
Während der folgenden Tage machten sie keine Pläne. Abends kam Daniel ins Salettl. Er brachte etwas zum Essen mit, sie erzählten einander vom Tag, saßen einander eine Weile gegenüber wie enge Freunde oder ein vertrautes Paar. Und irgendwann sahen sie einander in die Augen, fingen Feuer und erklommen den Hängeboden.
Zwei Tage vor Silvester riefen die Eltern an und meldeten sich aus Rom zurück. Amelie war verdattert, als sie ihre Stimmen hörte. Sie hatte völlig vergessen, dass sie Eltern hatte.
Nein, sie werde auch Silvester nicht nach Salzburg kommen, es sei hier einfach noch zu viel zu tun…Aber ja, sicher gehe es ihr gut, gesund und munter, ja…Zum Jahreswechsel telefonieren? Klar!…Mitternacht? Lieber nicht, es sei noch nicht ganz raus, wo sie um Mitternacht sein werde…
»Daniel, wo wirst du Silvester zu Mitternacht sein?«, fragte sie ihn am selben Abend.
»Wo du sein wirst, mein Herz.«
»Und wo werde ich sein?«
»Ich dachte zur Abwechslung einmal in meinem Bett.«
Am 31. Dezember bummelten sie Arm in Arm durch die Stadt. Daniel hatte erklärt, er wolle nicht, dass Amelie mit einem Köfferchen bei ihm einziehe, als handle es sich um ein schlampiges Wochenende.
»Wir besorgen, was du brauchst. Ich fahre mit dem Zeug zu mir, du fährst zu dir und machst dich fesch, weil wir am Neujahrstag schick essen gehen. Dann nimmst du ein Taxi und kommst zu mir. Ich gebe dir einen Haustürschlüssel, damit du nicht anläuten musst.«
Er zog einen Schlüssel aus seiner Tasche und drückte ihn Amelie in die Hand. Amelie schüttelte den Kopf, das sei nicht nötig, es sei doch nichts
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