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América

América

Titel: América Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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doch nicht etwa wegen Beihilfe oder so angeklagt werden?«
    Jack überschlug sich fast mit Beschwichtigungen. »Aber nein, nein. Sie hatte ja überhaupt nichts damit zu tun. Hört mal« - und jetzt wandte er sich ihnen zu, achtete darauf, Blickkontakt herzustellen - »ich kann seine Handlungen wirklich nicht verteidigen. Wie gesagt, bin ich nicht mehr sein Anwalt. Aber ja, nach allem, was ich höre, sieht es so aus, als hätte er das Land verlassen.«
    Und dann fuhren sie durch das Tor, und Jack parkte auf dem Wendekreis, den sie für alle jene angelegt hatten, denen der Zutritt zu den sakrosankten Straßen von Arroyo Blanco Estates verwehrt wurde. Er stellte den Motor ab und stieg aus dem Wagen, Delaney und Kyra taten es ihm nach. »Also, was ist jetzt, Jack?« fragte Delaney in dem Glauben, es müsse mit den Tieren zu tun haben, die vom Feuer aufgescheucht worden waren, als er aufblickte und die Mauer sah. Sie war zu beiden Seiten des Einfahrtstors mit Graffiti verunstaltet, große, kühne, eckige Balken in glitzernder schwarzer Farbe - wie hatte er das auf dem Rückweg vom Flughafen nur übersehen können? »Ich fasse es nicht«, sagte Kyra. »Was kommt als nächstes?«
    Jack war direkt an die Mauer herangetreten und fuhr die gezackten Hieroglyphen mit dem Finger nach. »Das sind ihre Zeichen, nicht? Es sieht fast so aus wie die Inschriften auf den Stelen vor den Mayatempeln - seht mal, hier -, aber das hier sieht eher wie ein Z aus, und dort, das muß ein S mit einem Strich durch sein, oder? Haben sie so was auch auf das Haus gesprüht, das du verkaufen wolltest, Kyra? Ich meine, kannst du das hier lesen?«
    »Nein, damals, das ist spanisch gewesen - pinche puta, dreckige Hure. Die waren sauer auf mich, weil ich sie von dem Grundstück vertrieben hatte - dieselben Idioten, die an dem Feuer schuld sind und die sie gerade freigelassen haben, nur weil wir vielleicht ihre Grundrechte verletzen könnten, als hätten wir selbst nicht auch Rechte, als könnte einfach jeder hierher kommen und unsere Häuser niederbrennen, und wir müssen es lächelnd hinnehmen. Aber nein, das hier ist anders. Dieses Zeug sieht man doch überall im San Fernando Valley - das ist ihr Geheimcode.«
    Jack wandte sich an Delaney. Ein feiner Sprühregen hatte eingesetzt, kaum mehr als ein Hauch von Feuchtigkeit, aber es war ein Anfang. »Und was meinst du dazu?«
    Da war er wieder, dieser Haß. Er übermannte ihn so heftig, daß er daran würgte. Es gab keinen Ausweg, keine Zuflucht - sie waren überall. Er konnte nur die Achseln zucken.
    »Ich versteh's einfach nicht«, sagte Jack mit leiser, nachdenklicher Stimme. »Es ist wie ein animalischer Reflex, oder? Das Markieren des Territoriums?«
    »Nur daß es unser Territorium ist«, sagte Kyra.
    Und jetzt brach der Kloß in Delaneys Kehle auf, und der Geschmack, den er hinterließ, war bitter, sehr bitter. »Da wäre ich mir nicht so sicher«, sagte er.
    November wurde Dezember, Dame Edith und Dom Flood wurden als verschollen aufgegeben, das erste große Gewitter des Winters tränkte die Hügel über drei Tage mit fünfzig Millimeter Niederschlag, und Delaney Mossbacher entdeckte seine Mission. Er war ein geduldiger, findiger Mensch. Er hatte sein halbes Leben damit verbracht, Tiere in freier Wildbahn zu beobachten, war in Florida zwischen Seekühen getaucht, hatte im Norden des Staates New York vor Fuchsbauen gelauert, einmal war er sogar mit dem bekanntesten Jaguar-Experten der Welt im Dschungel von Belize unterwegs gewesen, hatte sich in der Nähe von toten Tieren versteckt und endlose, moskitogeschwängerte Nächte hindurch auf das eine magische Foto des großen Raubtiers gewartet, wie es durch die Lianen pirschte. Er wußte, wie man sich unsichtbar machte, und er wußte zu warten. Worum es ihm ging, das war das Jüngste Gericht für diese Arschlöcher, die die Mauer besprüht hatten - er würde sich auf die Lauer legen, Nacht für Nacht, mit einem Feldstecher und einer Kamera mit Drahtauslöser, und er würde sie auf frischer Tat ertappen. Vielleicht hatte sie niemand beim Feuerlegen beobachtet, aber diesmal wollte er, verdammt noch mal, dafür sorgen, daß es einen Beweis gab, und wenn die Polizei sie nicht der Einwanderungsbehörde meldete, dann würde er es tun. Genug war genug.
    Kyra war dagegen. Sie hatte Angst, es könnte eine Konfrontation geben, bei der er verletzt würde. »Dafür bezahlen wir doch die Leute vom Westec-Sicherheitsdienst«, argumentierte sie. »Und den Wächter am

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