América
fahler, dünner Fleck, leitete ihn, zeigte seinen Füßen, wohin sie treten konnten, aber alles sah verändert aus; er hatte sogar Schwierigkeiten, den Anfang des Pfades zu finden. Die ganze Welt hier war Asche, fünf bis acht Zentimeter tief, und die einzigen Orientierungshilfen waren die geschwärzten Höcker der Felsen. Sobald er aber den Wasserlauf erreicht hatte, war er auf vertrautem Terrain und stolperte durch das steinige Bachbett. Im sterilen Licht der Nacht plätscherte das Wasser kaum hörbar. Keine Frösche quakten, keine Grillen zirpten, kein Uhu schrie, nicht einmal eine parasitäre Mücke sirrte: die Welt war zu Asche geworden, und die Asche war tot. Er fand den Tümpel, das Autowrack, die kleine Sandfläche und auch den Stein, genau den Stein. Aber noch ehe er ihn anhob und in der Grube darunter nach dem Versteck tastete, nach dem Geld, das wenigstens für die Rückfahrt nach Tepoztlán reichen würde, wenn schon für sonst nichts, wußte er, was er finden würde: geschmolzenes Plastik, verklebte Münzen, und die Geldscheine durch die Alchimie des Feuers zu Staub verwandelt. Oh, was für ein beschissenes Pech er doch hatte.
Es ging nicht mehr um eine Ironie des Schicksals, um die Frage nach Sünde und Schuld, um Aberglauben: er war nicht in der Lage, im eigenen Land zu leben, und in diesem Land konnte er auch nicht leben. Er war ein Versager, ein Narr, ein Bauerntölpel, der jedem coyote oder cholo mit tätowiertem Hals vertraute, ein Dummkopf, der nicht mal einen Truthahn grillen konnte, ohne dabei das halbe Land in Brand zu setzen. Sein Leben war verflucht gewesen seit dem Tag, als seine Mutter starb und sein Vater diese Schlampe Consuelo ins Haus holte, die dem alten Mann noch neun Kinder schenkte, die er mehr liebte, als er seinen erstgeborenen Sohn je geliebt hatte. Cándido saß inmitten der Asche, schaukelte mit dem Oberkörper vor und zurück, preßte sich die Hände an die Schläfen und dachte daran, wie wertlos er war, wie unwürdig er seiner América war, deren Leben er ebenfalls ruiniert hatte, und seiner Tochter, seiner wunderschönen, schwarzäugigen kleinen Tochter - denn was konnte sie vom Leben erwarten? Im Dunkel dieses verwüsteten Cañons kam ihm der Gedanke, einfach davonzulaufen, wegzulaufen und América und Socorro in der wackligen Hütte zurückzulassen, mit dem halben Topf Katzeneintopf, den América immer noch für Kanincheneintopf hielt (Die Katze? Ach, die ist sicher wieder zu den reichen Leuten zurück, ganz bestimmt ...), er wollte weglaufen und nie wieder zurückkehren. Ohne ihn wären sie besser dran. Die Behörden würden nur nach ihm fahnden, dem Verursacher all dieser Zerstörung, nach América suchten sie bestimmt nicht, der Mutter einer Staatsbürgerin der USA, und Cándido hatte oft gehört, daß es für die armen Amerikaner Kliniken und Sozialwohnungen und Essensmarken gab, also warum sollte seine Tochter diese Unterstützung nicht auch bekommen? Warum nicht?
Er saß eine halbe Stunde da, zerfloß in Selbstmitleid, der größte Narr auf der ganzen Welt, aber dann wußte er, was er zu tun hatte, und er stand auf, packte den Klumpen Plastik und die verbogenen, rußgeschwärzten Überreste ihres alten Grillrosts und stieg mit den sechzehn Dollar, die er in der Tasche hatte, den Hügel hinauf zu dem chinesischen Supermarkt, wo ihn sicher niemand erkennen würde, und dort kaufte er Käse, Milch, Eier, Tortillas und ein halbes Dutzend Wegwerfwindeln. Es waren nur zwei Leute im Laden, ein Kunde - der Gringo beachtete ihn gar nicht - und der Chinese hinter dem Ladentisch, der sein Geld schweigend entgegennahm.
Cándido präsentierte América die Einkäufe wie einen erlesenen Schatz und kochte ihr auf dem Rost, dem einzigen Überbleibsel ihres unseligen Lagers im Cañon, eine Mahlzeit in dem Hundenapf aus Alu. Es war bereits spät, als sie gegessen hatten, die Luft war feucht und kalt, und Cándido erinnerte sich gerade, daß er hinter dem Chinesenladen einen Haufen Betonsteine gesehen hatte, von denen er vielleicht ein paar mitnehmen könnte, um einen Herd daraus zu bauen und die Wärme des Feuers für die Hütte zu nützen, als América sich das Kind von der Brust nahm und ihn im unsicheren Flackerlicht der Lampe fixierte. »Also«, sagte sie, »und wie weiter?«
Er zuckte die Achseln. »Ich werde mir wohl Arbeit suchen.« Ihr Blick ließ ihn an Zangen denken, dieser erbarmungslose, zupackende Blick, mit dem sie ihn anstarrte, wenn sie etwas haben wollte und sich
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