América
Tor.«
»Aber die machen so was nicht«, sagte er. »Das liegt auf der Hand. Sieh mal: jemand muß etwas unternehmen.«
Und der Jemand war er. Es war eine klare, einfache Aufgabe: etwas, das er meistern und beherrschen konnte. Er hatte unendlich viel Zeit. Die Hügel waren pitschnaß und die Tage so kurz, daß er seine täglichen Wanderungen auf maximal vier bis fünf Kilometer beschränkte; seine Kolumne für den kommenden Monat - über das Feuer - war fertig, und der Artikel über die eingeschleppten Arten nahm Formen an. Er saß in seinem Arbeitszimmer, starrte die Wand an, und jedesmal, wenn er an diese Mexikaner dachte, besonders an den einen, mit dem er aneinandergeraten war, brannten in ihm Scham und Haß wie eine Harzfackel, das Gefühl flackerte, erstarb und flackerte von neuem auf. Nein, er war nicht auf Konfrontation aus - er würde nur die Beweise sammeln und dann mit Kyras Handy Westec und den Sheriff anrufen, sonst nichts.
Er verband zwei einfache Blitzlichtkameras mit Stolperdrähten zum Auslösen und stellte sie so auf, daß eine Kamera jeweils eine Seite der Mauer im Sucher hatte. Es war derselbe Aufbau, zu dem er ein Jahr zuvor Zuflucht gesucht hatte, als irgendein verstohlenes nächtliches Wesen regelmäßig den Sack mit Katzenfutter in der Garage dezimierte. Jack Cherrystone hatte ihn seine Dunkelkammer benutzen lassen (Jack war ein begeisterter Amateurfotograf, der im Augenblick an einer Porträtserie über die »Gesichter hinter den Stimmen« arbeitete, Großaufnahmen der unbekannten Helden, die Cartoonfiguren ihre Stimmen liehen und in der Werbung die Voice-over-Texte sprachen, und natürlich auch von den Mitgliedern des kleinen Trupps seiner Trailer-Kollegen), und dort hatte Delaney zugesehen, wie das Bild im Entwicklerbad Gestalt annahm, und mit Genugtuung den plumpen, weißen, langschnäuzigen Kopf von Didelphis marsupialis, des Virginia-Opossums, erkannt, der ihm daraus entgegenstarrte. Nun würde er die gleiche Technik für eine andere Sorte Fauna anwenden.
In der ersten Nacht wartete er von zehn bis nach eins, niemand tauchte auf - nicht einmal ein Opossum oder eine Katze -, und erledigte am Morgen danach den Haushalt so schleppend, als läge er im Koma, brannte Kyras Toast an und brachte Jordan zwölf Minuten zu spät zur Schule. Statt etwas zu schreiben, nickte er ein, und seine Nachmittagswanderung brach er vorzeitig ab, weil er nicht imstande war, sich auf die natürliche Welt zu konzentrieren, da doch die unnatürliche alles bedrohte, was ihm heilig war. In der zweiten Nacht brach er kurz nach neun auf, streifte ein wenig herum, kehrte nach Hause zurück, um sich mit Kyra die Nachrichten anzusehen, ging dann nach elf wieder hinaus und legte sich in Sichtweite des Tors auf die Lauer, bis zwei Uhr. Am nächsten Morgen hörte er den Wecker nicht, und Kyra mußte Jordan zur Schule bringen.
In der folgenden Woche lauerte er jede Nacht rund drei Stunden in dem Versteck, das er hinter einem Strauch geschaffen hatte, aber es tat sich überhaupt nichts. Er beobachtete seine Nachbarn beim Herein- und Hinausfahren, wußte genau, wer zum Schnapsladen und wer ins Kino unterwegs war und wann sie zurückkamen, aber die Vandalen zeigten sich nicht. In der Mitte der Woche zog ein zweites Unwetter auf, es wurde kalt, die Temperatur fiel auf fünf Grad, und obwohl ihm klar war, daß keine Latinos, Mexikaner oder sonstwer bei dem Regen herumlungern würden, blieb er auf seinem Posten, unter den Parka geduckt, erlebte die Nacht und ließ seine Gedanken wandern. Der Regen, der auf den schwarzen Asphalt niederprasselte, ließ ihn an Florida denken, wo die Straßen manchmal unter glitzernden Fleischbergen verschwanden, wenn die siamesischen Wanderwelse millionenfach unterwegs waren. Er erinnerte sich, wie ihn ihre schiere protoplasmatische Macht überwältigt hatte, die offenen Mäuler und die blinkenden Augen, wenn sie von einem Kanal zum nächsten glitschten, eine wahre Armee auf dem Vormarsch. Niemand - am wenigsten der Importeur von exotischen Zierfischen, der sie in die USA gebracht hatte - hätte geglaubt, daß sie tatsächlich imstande waren, über Land zu gehen, trotz ihres unmißverständlichen Namens, und so waren sie herausgewatschelt aus ihren Freilandaquarien, direkt hinein in die leere Nische, die sie in der feuchtwarmen subtropischen Nacht erwartete. Und jetzt waren sie nicht mehr aufzuhalten, vermehrten sich unaufhörlich, belasteten die Ressourcen ihrer neuen Umwelt und futterten die
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