Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
Vom Netzwerk:
nicht. Und Wednesday wird dann seine Totenwache gehabt haben.«
    »Vielleicht schickt Alwis uns ja einen seiner Leute«, sagte Tschernibog. »Ein Zwerg könnte es überleben.«
    »Ich werde es tun«, sagte Shadow.
    »Nein«, sagte Mr. Nancy.
    »Doch«, sagte Shadow.
    Die beiden alten Männer schwiegen. Schließlich sagte Nancy: »Und warum?«
    »Weil es das ist, was jemand, der lebendig ist, tun würde«, sagte Shadow.
    »Sie sind verrückt«, sagte Tschernibog.
    »Kann sein. Aber ich werde Wednesdays Totenwache halten.«
    Als sie zum Tanken anhielten, erklärte Tschernibog, ihm sei übel, er wolle jetzt vorn mitfahren. Shadow hatte nichts dagegen, auf die Rückbank des Busses umzuziehen. Dort konnte er sich besser ausstrecken und so vielleicht ein bisschen Schlaf finden.
    Sie fuhren schweigend weiter. Shadow hatte das Gefühl, eine Entscheidung getroffen zu haben: etwas Großes und Sonderbares.
    »He, Tschernibog«, sagte Mr. Nancy nach einer Weile. »Hast du dir den Technikjungen mal näher angeguckt, als wir da im Motel waren? Der war gar nicht glücklich. Hat mit irgendwas rumgemacht, mit dem er nicht fertig wird. Das ist das größte Problem bei diesen neuen Kids – die glauben, sie wüssten und könnten alles, du kannst ihnen also nichts beibiegen, es sei denn auf die harte Tour.«
    »Gut«, sagte Tschernibog.
    Shadow hatte sich in voller Länge auf dem Rücksitz ausgestreckt. Er fühlte sich wie zwei Leute, wenn nicht sogar mehr. Einerseits war er leicht euphorisch: Er hatte etwas getan . Hatte sich bewegt. Das wäre zwar nicht weiter bedeutend gewesen, wenn er keinen Lebenswillen besessen hätte, aber er wollte ja leben, und eben das war das Entscheidende. Er hoffte natürlich, die Sache zu überstehen, war aber auch bereit zu sterben, wenn das die Bedingung dafür war, lebendig zu sein. Und für einen Moment kam es ihm so vor, als wäre das alles ziemlich komisch, im Grunde die komischste Sache der Welt, und er fragte sich, ob Laura den Witz zu schätzen wissen würde.
    Es gab aber noch einen anderen Teil von ihm – vielleicht war es Mike Ainsel, dachte er, der wie auf Knopfdruck aus dem Polizeirevier von Lakeside ins Nichts Verschwundene –, der immer noch Licht ins Dunkel bringen, das Bild im Ganzen sehen wollte.
    »Versteckte Indianer«, sagte er laut.
    »Was?«, kam Tschernibogs irritiertes Krächzen von vorn.
    »Die Bilder, die man als Kind zum Ausmalen kriegt. ›Kannst du die versteckten Indianer auf diesem Bild erkennen? Auf dem Bild haben sich zehn Indianer versteckt, findest du sie alle?‹ Auf den ersten Blick sieht man nur den Wasserfall, die Felsen und die Bäume, dann aber, wenn man das Bild ein bisschen zur Seite neigt, sieht man, dass einer dieser Schatten ein Indianer ist …« Er gähnte.
    »Schlafen Sie ruhig«, sagte Tschernibog.
    »Aber das Bild, das Bild im Ganzen«, sagte Shadow. Dann schlief er ein und träumte von versteckten Indianern.
     
    Der Baum stand in Virginia, weit weg von allem auf der Rückseite einer alten Farm. Um zur Farm zu gelangen, mussten sie von Blacksburg aus eine knappe Stunde nach Süden fahren, auf Straßen, die Namen wie Pennywinkle Branch oder Rooster Spur trugen. Zweimal mussten sie wieder kehrtmachen, und Mr. Nancy und Tschernibog verloren die Geduld mit Shadow und mit sich.
    Um sich nach dem Weg zu erkundigen, hielten sie bei einem winzigen Gemischtwarenladen, der am Fuß des Hügels an der Gabelung der Straße lag. Ein alter Mann kam aus der Hintertür und starrte zu ihnen herüber. Er trug einen Overall von Oshkosh B’Gosh, weiter aber nichts, nicht mal Schuhe. Tschernibog wählte eine eingelegte Schweinshachse aus einem Glas, das auf dem Tresen stand, und trug sie zum Essen nach draußen, während der Mann im Overall für Mr. Nancy Wegekarten auf Servietten malte, auf denen er die entscheidenden Abzweigungen und örtlichen Wahrzeichen vermerkte.
    Sie machten sich, mit Mr. Nancy am Steuer, wieder auf den Weg und waren in zehn Minuten da. Auf einem Schild am Tor stand ASH.
    Shadow stieg aus und öffnete das Tor. Mr. Nancy fuhr mit dem Bus hindurch und ließ ihn über die Wiese hoppeln. Shadow machte das Tor wieder zu. Er ging zu Fuß hinter dem Bus her, vertrat sich die Beine, musste richtig joggen, weil der Bus zu viel Vorsprung gewann, genoss aber das Gefühl, sich Bewegung zu verschaffen.
    Auf der Fahrt von Kansas hierher hatte er jegliches Zeitgefühl verloren. Waren sie zwei Tage unterwegs gewesen? Drei Tage? Er konnte es nicht sagen.
    Die Leiche

Weitere Kostenlose Bücher