American Gods
die Schürstange entringen, da warf der alte Mann das glühende Eisen in Mulligans Richtung.
Es war ein eher ungeschickter Wurf – als würde er nur der Form halber ausgeführt –, und gleichzeitig war Hinzelmann schon auf dem Weg zur Tür.
Das Schüreisen streifte Mulligan am linken Arm.
Der Lärm des Schusses in den engen Räumlichkeiten des Alten war ohrenbetäubend.
Ein Schuss in den Kopf, und das war’s.
»Sie sollten sich lieber anziehen«, sagte Mulligan. Seine Stimme kam dabei dumpf und leblos.
Shadow nickte. Er ging ins Nebenzimmer, öffnete den Wäschetrockner und zog seine Sachen heraus. Die Jeans waren noch feucht, aber er schlüpfte trotzdem hinein. Als er vollständig angekleidet – bis auf den Mantel, der irgendwo im eisigen Schlamm des Sees lag, und den Stiefeln, die er nicht finden konnte – ins Wohnzimmer zurückkam, hatte Mulligan bereits mehrere glimmende Holzscheite aus dem Kamin gezogen.
»Das ist ein schwarzer Tag für einen Cop, an dem er Brandstiftung begehen muss, um einen Mord zu vertuschen«, sagte Mulligan. Dann musterte er Shadow. »Sie brauchen Schuhe«, sagte er.
»Ich weiß nicht, wo er meine Stiefel hingetan hat«, sagte Shadow.
»Mist«, sagte Mulligan. Und dann: »Tut mir Leid, Hinzelmann.« Er packte den Alten am Kragen und an der Gürtelschnalle und hievte ihn Kopf voran in den offenen Kamin. Das weiße Haar knisterte und flackerte, und sofort begann sich im Zimmer ein Geruch von angesengtem Fleisch auszubreiten.
»Es war kein Mord. Es war Notwehr«, sagte Shadow.
»Ich weiß, was er war«, sagte Mulligan knapp. Er hatte seine Aufmerksamkeit bereits den im Zimmer verteilten rauchenden Scheiten zugewandt. Er schob eines davon ans Sofa heran und schnappte sich eine alte Ausgabe der Lakeside News , deren einzelne Seiten er zusammenknüllte und auf das Scheit fallen ließ. Das Zeitungspapier wurde braun und ging schließlich in Flammen auf.
»Kommen Sie nach draußen«, sagte Chad Mulligan.
Bevor sie das Haus verließen, öffnete er noch die Fenster und stellte das Schloss der Vordertür so ein, dass es zuschnappte, wenn die Tür zufiel.
Shadow folgte ihm barfuß zum Streifenwagen. Mulligan machte ihm die Beifahrertür auf, Shadow stieg ein und wischte sich die Füße an der Matte ab. Dann streifte er sich seine Socken über, die inzwischen einigermaßen trocken waren.
»Wir können Ihnen bei Hennings ein Paar Stiefel holen«, sagte Mulligan.
»Wie viel haben Sie vorhin mitgehört?«, fragte Shadow.
»Genug«, sagte Mulligan. Und gleich darauf: »Zu viel.«
Sie fuhren schweigend zum Kaufhaus Hennings. Als sie dort angekommen waren, fragte der Polizeichef ihn: »Welche Schuhgröße?«
Shadow sagte es ihm.
Mulligan ging in den Laden. Er kehrte mit einem Paar dicker Wollsocken und einem Paar Bauernstiefel aus Leder zurück. »War alles, was sie in Ihrer Größe vorrätig hatten«, sagte er. »Es sei denn, Sie hätten lieber Gummistiefel gehabt. Aber das konnte ich mir nicht recht vorstellen.«
Shadow zog die Socken und die Stiefel an. Sie passten tadellos. »Danke«, sagte er.
»Haben Sie ein Auto?«, fragte Mulligan.
»Steht an der Straße, die zum See führt. In der Nähe der Brücke.«
Mulligan ließ den Motor an und fuhr vom Parkplatz des Kaufhauses herunter.
»Was ist aus Audrey geworden?«, fragte Shadow.
»Einen Tag nachdem man Sie abgeholt hat, meinte sie, dass sie mich als Freund schätzen würde, aber es könnte mit uns nicht klappen, wo wir doch verwandt seien und alles, und dann ist sie nach Eagle Point zurückgefahren. Hat mir das verflixte Herz gebrochen.«
»Lässt sich nachvollziehen«, sagte Shadow. »Nehmen Sie’s nicht persönlich. Hinzelmann hat sie hier nicht mehr gebraucht.«
Sie kamen wieder an Hinzelmanns Haus vorbei. Aus dem Schornstein kroch eine dicke weiße Rauchwolke.
»Sie ist nur in die Stadt gekommen, weil er sie hier haben wollte. Sie hat ihm geholfen, mich aus der Stadt zu vertreiben. Ich hatte wohl Aufmerksamkeit erregt, die er nicht gebrauchen konnte.«
»Und ich hab gedacht, sie mag mich.«
Sie hielten neben Shadows Mietwagen. »Was haben Sie jetzt vor?«, fragte Shadow.
»Ich weiß nicht«, sagte Mulligan. Sein immer etwas gequältes Gesicht schien, erstmals seit sie Hinzelmanns Hütte verlassen hatten, wieder etwas lebendiger zu werden. Aber auch noch gequälter. »Ich schätze, da gibt es zwei, drei Möglichkeiten. Entweder« – er bildete aus zwei Fingern eine Pistole, steckte sich die Spitzen in den Mund
Weitere Kostenlose Bücher