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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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ein Wind aufzog, der ihm die Haare aufwirbelte, ihm ins Gesicht strich, an ihm zerrte.
    Sie standen im Saal mit dem größten Karussell der Welt und lauschten dem Kaiserwalzer .
    Eine Gruppe von Leuten, der Erscheinung nach Touristen, sprach mit Wednesday am anderen Ende des Saals, ihre Zahl entsprach der der schattenhaften Gestalten, die sich zuvor in Wednesdays Halle aufgehalten hatten. »Hier hindurch«, dröhnte Wednesday und führte sie durch den einzigen Ausgang. Der Ausgang war wie das weit offene Maul eines riesigen Monsters gestaltet, mit scharfen Zähnen, die nur darauf zu warten schienen, sie alle zu zerfleischen. Wednesday bewegte sich in ihrer Mitte wie ein Politiker, eindringlich auf Leute einredend, Mut zusprechend, lächelnd, sanft widersprechend, besänftigend.
    »War das jetzt Wirklichkeit?«, fragte Shadow.
    »War was Wirklichkeit, Blödmann?«, fragte Mr. Nancy zurück.
    »Die Halle. Das Feuer. Tigereier. Die Fahrt auf dem Karussell.«
    »Verdammt, es ist verboten, auf dem Karussell zu fahren. Haben Sie die Schilder nicht gesehen? Jetzt aber still.«
    Das Monstermaul führte ins Orgelzimmer, was Shadow einigermaßen verwirrend fand – waren sie da nicht schon durchgekommen? Das zweite Passieren war jetzt kein bisschen weniger seltsam. Wednesday führte sie eine Treppe hinauf an lebensgroßen, von der Decke hängenden Modellen der vier apokalyptischen Reiter vorbei, und schließlich folgten sie den Schildern zu einem Seitenausgang.
    Shadow und Nancy bildeten die Nachhut. Gleich darauf hatten sie das House on the Rock verlassen und gingen am Souvenirladen vorbei auf den Parkplatz zu.
    »Schade, dass wir vorzeitig wegmussten«, sagte Mr. Nancy. »Ich hatte ein bisschen gehofft, das größte künstliche Orchester der ganzen weiten Welt sehen zu können.«
    »Ich hab’s gesehen«, sagte Tschernibog. »Du hast nicht viel verpasst.«
     
    Das Restaurant befand sich zehn Minuten weiter die Straße hoch. Wednesday hatte allen Gästen verkündet, dass das heutige Abendessen auf seine Rechnung gehe, und hatte für all jene, die nicht mit dem Auto da waren, Fahrgelegenheiten organisiert.
    Shadow fragte sich, wie die anderen denn überhaupt zum House on the Rock gekommen waren und wie sie hinterher wieder wegkommen würden, aber er sagte nichts. Es schien ihm das Klügste zu sein, was er tun konnte.
    Shadow hatte eine Wagenladung voll mit Wednesdays Gästen zum Restaurant zu transportieren: Die Frau im roten Sari saß auf dem Beifahrersitz neben ihm. Auf der Rückbank hatten zwei Männer Platz genommen: der untersetzte, seltsam aussehende junge Mann, dessen Namen Shadow nicht richtig verstanden hatte – er hatte wie »Elvis« geklungen –, und ein anderer Mann in dunklem Anzug, an den Shadow sich nicht mehr erinnern konnte.
    Er hatte neben dem Mann gestanden, als dieser eingestiegen war, hatte ihm die Tür aufgehalten und sie wieder zugemacht und war doch nicht in der Lage, sich irgendeinen Aspekt seiner Person vor Augen zu führen. Er drehte sich im Fahrersitz um und sah ihn an, vermerkte mit Sorgfalt seine Gesichtszüge, die Haare, die Kleidung, tat alles dafür, ihn im Bedarfsfall wieder erkennen zu können, drehte sich wieder um, um den Wagen anzulassen, und musste feststellen, dass der Mann sich erneut seiner Erinnerung entzogen hatte. Ein vager Eindruck von Reichtum blieb zurück, mehr nicht.
    Ich bin müde, dachte Shadow. Er drehte den Kopf nach rechts und erhaschte einen Blick auf die indische Frau. Er registrierte die winzige Silberkette aus Schädeln, die ihr um den Hals hing, das Talisman-Armband aus Händen und Köpfen, die wie kleine Glocken klimperten, wenn sie sich bewegte, und den dunkelblauen Edelstein auf der Stirn. Sie roch nach Gewürzen, nach Kardamom und Muskat und nach Blüten. Ihr Haar war grau meliert. Sie lächelte, als sie bemerkte, dass er sie ansah.
    »Nennen Sie mich ruhig Mama-ji«, sagte sie.
    »Ich bin Shadow, Mama-ji«, sagte Shadow.
    »Und? Was halten Sie von den Plänen Ihres Arbeitgebers, Mr. Shadow?«
    Er bremste den Wagen ab, da sie gerade von einem großen schwarzen Laster überholt wurden, der den ganzen Schneematsch aufwirbelte. »Er verrät nichts, und ich frage nicht«, sagte er.
    »Wenn Sie mich fragen, ist er auf ein letztes Gefecht aus. Er will, dass wir mit Glanz und Gloria untergehen. So stellt er sich das vor.
    Und wir sind so alt, oder auch so dumm, dass einige von uns ihm nachgeben werden.«
    »Es gehört nicht zu meinen Aufgaben, Fragen zu stellen,

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