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American Gods

American Gods

Titel: American Gods Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Neil Gaiman
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ja?« Sie drohte ihm mit dem Finger. »Ich war schon eine alte Frau im Kalighat, als von dir noch nicht mal jemand geträumt hat, du närrischer Mann. Ich bin ein Kind? Dann bin ich eben ein Kind – zu erkennen gibt es in deinem törichten Gerede nämlich nichts.«
    Wieder ein Moment des Doppeltsehens: Shadow sah die alte Frau, das dunkle Gesicht von Alter und Missbilligung ausgehöhlt, aber hinter ihr sah er etwas Riesiges, eine nackte Frau mit einer Haut so schwarz wie eine neue Lederjacke, Lippen und Zunge so leuchtend rot wie arterielles Blut. Um ihren Hals hingen Schädel, und in ihren zahlreichen Händen hielt sie Messer und Schwerter und abgetrennte Köpfe.
    »Ich habe dich nicht als Kind bezeichnet, Mama-ji«, sagte Wednesday friedfertig. »Aber es erscheint doch offenkundig …«
    »Das Einzige, was hier offenkundig ist«, sagte die alte Frau und reckte einen Finger (und hinter ihr, durch sie hindurch, über ihr, erschien ein zweiter Finger, ebenso schwarz, ebenso scharfkrallig), »ist deine ureigene Sucht nach Ruhm. Seit langem leben wir in Frieden in diesem Land. Einigen von uns geht es besser als anderen, zugegeben. Mir geht es gut. Drüben in Indien gibt es zwar eine Inkarnation von mir, der es noch viel besser geht, aber ich bin nicht neidisch. Ich habe die Neuen aufsteigen sehen, und ich habe sie wieder fallen sehen.« Ihre Hand sank herab. Shadow sah, dass die anderen sie anblickten. Der Ausdruck in ihren Augen war gemischt: Respekt, Belustigung, Verlegenheit waren auszumachen. »Man hat die Eisenbahnen angebetet, einen Wimpernschlag erst ist es her. Aber jetzt sind diese Eisengötter ebenso vergessen wie die Smaragdjäger …«
    »Worauf willst du hinaus, Mama-ji?«, sagte Wednesday.
    »Worauf ich hinauswill?« Ihre Nasenlöcher weiteten sich. »Ich – aber ich bin natürlich nur ein Kind – sage, dass wir abwarten sollen. Wir unternehmen gar nichts. Es ist nicht erwiesen, dass sie uns Böses wollen.«
    »Und wirst du auch dann noch zum Abwarten raten, wenn sie in der Nacht kommen, um dich zu töten oder dich wegzuschaffen?«
    Ihr Gesicht verriet Abschätzigkeit und Belustigung: Es steckte alles in den Lippen und den Augenbrauen und in der Stellung der Nase. »Wenn sie so etwas versuchen«, sagte sie, »werden sie feststellen, dass ich schwer einzufangen bin und noch schwerer zu töten.«
    Ein untersetzter junger Mann, der auf der Bank hinter ihr saß, machte laut räuspernd auf sich aufmerksam, dann sagte er mit dröhnender Stimme: »Allvater, mein Volk fühlt sich wohl. Wir machen das Beste aus dem, was wir haben. Wenn dieser Krieg, den du vorhast, sich gegen uns wendet, könnten wir alles verlieren.«
    »Ihr habt bereits alles verloren«, sagte Wednesday. »Ich dagegen biete euch die Gelegenheit, euch etwas zurückzuholen.«
    Das Feuer loderte hoch empor, während er sprach, und beleuchtete die Gesichter der Zuhörer.
    Ich glaube im Grunde nicht, dachte Shadow. Nichts von dem hier glaube ich. Vielleicht bin ich immer noch fünfzehn, Mama ist noch am Leben, und Laura habe ich noch nicht einmal kennen gelernt. Alles was bisher passiert ist, war nur ein besonders lebhafter Traum. Und doch konnte er auch das nicht glauben. Alles was wir zum Glauben haben, sind unsere Sinne, die Werkzeuge, mit deren Hilfe wir die Welt wahrnehmen: Sehvermögen, Tastsinn, Gedächtnis. Wenn sie uns belügen, gibt es nichts mehr, dem wir trauen können. Und selbst wenn wir nicht glauben, können wir keinen anderen Weg beschreiten als den, den unsere Sinne uns vorgeben; und diesen Weg müssen wir bis ans Ende gehen.
    Dann brannte das Feuer nieder, und es herrschte Dunkelheit in Walaskjalf, Odins Halle.
    »Und jetzt?«, flüsterte Shadow.
    »Jetzt gehen wir zurück zum Karussellsaal«, brummelte Mr. Nancy. »Und Old Einauge lädt uns alle zum Essen ein, schmiert ein paar Leute, küsst ein paar Babys, und niemand nimmt mehr das Wort mit G in den Mund.«
    »Wort mit G?«
    » Götter. Mal im Ernst jetzt, was haben Sie eigentlich an dem Tag gemacht, als die Gehirne verteilt wurden. Junge?«
    »Da hat jemand eine Geschichte über einen Tiger erzählt, dem die Eier geklaut wurden, und ich musste erst mal herausfinden, wie sie ausging.«
    Mr. Nancy kicherte.
    »Aber es ist nichts geklärt worden. Niemand hat sich zu irgendwas verpflichtet.«
    »Er bearbeitet sie gemächlich. Er wird sie einzeln rumkriegen, einen nach dem anderen. Sie werden schon sehen. Am Ende knicken sie alle ein.«
    Shadow konnte fühlen, dass von irgendwoher

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