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Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition)

Titel: Amerika!: Auf der Suche nach dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Geert Mak
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gezogen, mit eigenen, bunten Uniformen. Bei der Siegesparade am 23. und 24. Mai 1865 marschierten sie in einheitlich blauen Uniformen wie eine Armee durch Washington, eine gewaltige, fünfundzwanzig Meilen lange Kolonne, eine überwältigende Demonstration der neuen Einheit und Stärke.
    Während des größten Teils des 20. Jahrhunderts blieb das Gleichheitsideal der Amerikaner vorherrschend. Im Fernsehen sehe ich Präsident Obama, der während seines ersten Besuchs in London dem Polizisten, der vor Downing Street 10 Wache schiebt, herzlich die Hand schüttelt. Für Gordon Brown, Mitglied der Labor Partei und zu dieser Zeit Premierminister, ist der Mann nur Luft. Ich sehe ein Essen vor mir, bei dem die unterschiedlichen Tischsitten der Europäer immer noch etwas über ihre soziale Herkunft verraten und bei dem die meisten Amerikaner, ob arm oder reich, alle auf dieselbe Weise essen: mit der Gabel, das Messer benutzen sie nur, um Fleisch zu schneiden. Ich erinnere mich an eine Straßenszene an einem der sonnigen Vormittage, nachdem ich zum ersten Mal in Amerika gelandet war: Ein Straßenkehrer, der an einer Ampel ein Gespräch mit dem Besitzer eines weißen Cadillac Convertible anknüpft. Wie viel so ein Wagen koste? Wie hoch der Verbrauch sei? Und ob er zufrieden mit dem Wagen sei? Der reiche Autobesitzer, der offen und ernsthaft auf alle Fragen einging. Der Straßenkehrer, der davon überzeugt war, irgendwann auch einen solchen Wagen zu besitzen. Ja, das war tatsächlich eine andere Welt.
    Und einer der größten Unterschiede zwischen Europa und Amerika war – und ist – der Umgang mit dem Scheitern: In Europa bleibt jemand, der Konkurs gemacht hat, gebrandmarkt, der Amerikaner packt seine Sachen zusammen und versucht es woanders aufs Neue. » Go West, young man !« Diese sogenannte Frontier Ideology , kombiniert mit dem Versprechen vom Reichtum-aus-eigener-Kraft, verlieh der amerikanischen Gesellschaft im Vergleich zur europäischen eine besondere Dynamik. In Europa herrschte nur allzu oft das Schicksal, in Amerika konnte man immer wieder neu anfangen.
    Ich schreibe diese letzten Sätze in der Vergangenheitsform, und das mit Absicht. Ungeachtet der tatsächlichen Verhältnisse, wird in der amerikanischen Gesellschaft die Fahne der Gleichheit immer noch hochgehalten. Amerikaner bezeichnen Menschen, die mit wenigen Mitteln ihr Dasein fristen, nicht als poor , sondern als underprivileged . Dieselbe Haltung hat auch die Sozialforschung beobachtet: Jeder betrachtet sich selbst als Teil einer einzigen großen Mittelschicht, ob er über ein Jahreseinkommen von 20 000 oder von 150 000 Dollar verfügt. Wenn es jedoch einen Aspekt im amerikanischen Selbstbild gibt, der dringend überprüft werden müsste, dann ist es das Ideal der – oder besser: der Auftrag zur – Gleichheit.
    Als Steinbeck durch Amerika fuhr, wurden die sozialen Verhältnisse zum größten Teil noch durch den New Deal bestimmt, jenem ambitionierten Programm zur Bewältigung der Wirtschaftskrise, das Präsident Franklin Roosevelt in den dreißiger Jahren aufgelegt hatte. Kennedy und Nixon mochten über alles Mögliche diskutieren, hinsichtlich einer ganzen Reihe von politischen Themen – Armutsbekämpfung, soziale Gleichheit – herrschte um 1960 ein großes Maß an Einigkeit. Wahrscheinlich lebten im damaligen Amerika viel mehr Reiche als je zuvor, doch, so Steinbeck in Amerika und die Amerikaner , »anstatt sich mit ihrem Reichtum zu brüsten, leben sie, gleich Flüchtlingen, verborgen und scheu«.
    Das war die Fortsetzung eines Trends zu mehr Gleichheit, der bereits während des Krieges eingesetzt hatte. Die Wohlhabenden hatten infolge der Kriegssteuern ordentlich bezahlen müssen, während der einfache Arbeiter in der Kriegsindustrie gut verdient hatte. Dazu kam eine Einrichtung, die viele Amerikaner eigentlich für äußerst unamerikanisch hielten, die aber die Lebensqualität enorm verbessert hatte: die Einführung der sogenannten Social Security , dem ersten sozialen Fangnetz in der Geschichte des Landes. Die Sozialprogramme, die Roosevelt in den dreißiger Jahren ins Leben rief, waren und blieben umstritten. Sie beendeten auch nicht die Große Depression; das geschah erst nach 1941, als die Kriegsindustrie auf Hochtouren lief. Aber sie schufen in den schwierigen Jahren eine Atmosphäre der Hoffnung und des Optimismus, und die Wähler dankten dies Roosevelt bei seiner Wiederwahl im Jahr 1936 mit einer überwältigenden Mehrheit.
    Danach wurde

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