Amnion 2: Verbotenes Wissen
Scanning und Navigation spielten augenblicklich verrückt. Die Geschwindigkeit des Raumschiffs war dermaßen hoch, übertraf so sehr alles, was ihre Düsen hätten erzeugen können, daß sich die Computerprogramme als den Anforderungen nicht gewachsen erwiesen. Zeitdilatationseffekte verzerrten alles; Instrumente zeigten nur noch elektronischen Unfug an. Die Computer brauchten lange Minuten, um sich neu zu kalibrieren, den Zustand des Raumschiffs zu bestimmen und Ausgleichsmaßnahmen zu veranlassen.
Als sie endlich den neuen Daten einen Sinn abgewinnen konnten, gaben sie für die Käptens Liebchen eine Fluggeschwindigkeit von 0,9 c an: ungefähr 270.000 km pro Sekunde.
Das hätte ausgeschlossen sein müssen. Kein menschliches Raumschiff war für das Erreichen einer derartigen Geschwindigkeit gebaut. Andererseits spürte man keine G, kam es zu keiner Schwerkraft-Belastung. Was die interne Situation betraf, hätte das Raumschiff ebensogut dahinschweben können. Die Problematik hatte ausschließlich externen Charakter; und gegenwärtig entstand daraus keine unmittelbare Gefahr. Allerdings waren die Computer ganz einfach unzulänglich darauf eingestellt, die Informationen, die die Sensoren und Vestigatoren der Käptens Liebchen aus dem Sternenmeer und den entfernteren Weiten des Weltalls heraussiebten, richtig zu interpretieren.
Nahezu eine Stunde verstrich, bevor Nick anhand der Astrogation darüber Klarheit erhielt, wo sich das Raumschiff befand.
Morn Hyland hatte ein ähnliches Problem. Lange bevor sie tatsächlich das Bewußtsein zurückerlangte, litt sie unter dem unangenehmen Gefühl, daß irgend etwas fehlte. Irgend etwas in physischer Beziehung: daß ihr Körper am falschen Ort oder in einer abwegigen Haltung sein könnte. Ihre Träume verursachten ihr eine Drangsal, als läge sie im Delirium, sie warf sich hin und her, wimmerte im Schlaf, tastete nach gar nicht vorhandenen Kontrollen.
Selbstvernichtung. Wenn etwas mißlungen war, mußte sie die Taste drücken. Sie hatte ihre Drohungen umsonst ausgestoßen, wenn sie nicht dazu imstande war, sie zu verwirklichen, niemand würde ihr je wieder ein Wort glauben, das geringe Maß an Macht, das sie sich errungen hatte, müßte ihren Händen entgleiten wie ein Rauchfähnchen.
Wenn sie die Taste drückte, mußte Davies sterben. Ihr Sohn stürbe. Während er noch halb irre war aufgrund verschobener Identität und fremder Erinnerungen. Er hätte nie eine Chance, er selbst zu werden, der Teil Morns, den zu bewahren sich lohnte. Aber das war besser, als ihn von Nick den Amnion ausliefern zu lassen.
Sie tippte auf der Taste herum, bis ihr die ganze Hand weh tat, die Anstrengung ihr den Arm zum Zittern brachte; doch nichts geschah.
Die Taste war fort.
Das Kommandopult der Hilfssteuerwarte war verschwunden.
Morn stand mit leeren Hände da. Sie war machtlos und zum Untergang verurteilt.
O Gott…!
Mühsam schlug sie die Augen auf und erblickte die Wände ihrer Kabine.
Morn lag mit auf dem Brustbein gefalteten Händen in der Koje. Ihre Hände rangen miteinander, als wollte die rechte verhüten, daß die linke ein Unheil anrichtete.
Nick wußte über das Z-Implantat Bescheid.
Er hatte Davies den Amnion versprochen.
All ihre Macht war zerstoben.
»Bist du wach?« fragte eine Stimme. Wahrscheinlich müßte sie sie kennen. »Ich mache mir schon seit ’m Weilchen um dich Sorgen. Mikka muß ganz schön zugehauen haben. Ich hätte dich für den Fall, daß du ’ne Gehirnerschütterung hast, ins Krankenrevier geschafft, aber Nick war dagegen. Kannst du mich hören? Falls ja, versuch mal, was zu sagen.« Auch wenn sie die Stimme nicht erkannte, müßte sie doch zumindest dazu fähig sein, den Sprecher anzuschauen und zu sehen, um wen es sich handelte. Doch als sie den Versuch wagte, durchraste ein Schmerz ihren Kopf, als ob ein Schuß aus einem Impacter-Gewehr sie träfe, und die Kabine rundum zerschwamm in Tränen.
Mikka mußte wahrhaftig tüchtig zugehauen haben. Zu guter Letzt hatte die Erste Offizierin klargestellt, wem ihre Treue gehörte. Aber wie war es ihr möglich gewesen? Die Käptens Liebchen mußte unter Hoch-G-Belastung gestanden haben; sonst wäre Morn nicht eingeschlafen. Wie jedoch hatte Mikka dann ihren Sitz verlassen können?
Es mußte sich irgendeine Art von Verzögerung ergeben haben. Und Morn war wohl zu tief ermattet gewesen, um sofort aufzuwachen, als der Schub nachließ, die Beeinflussung durch das Z-Implantat wich; und während dieses
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