Amnion 4: Chaos und Ordnung
sie beantworte, entscheide ich, wenn ich sie kenne.«
»Natürlich.« Igensard fügte sich mit einer Zufriedenheit, als hätte er genau das erreicht, was er als am wichtigsten erachtete. »Kapitän Vertigus, ist etwas Wahres an dem Gerücht, daß Sie einmal selbst Untersuchungen im Zusammenhang mit Holt Fasner und den VMK vorgenommen haben?«
Dermaßen überrascht, daß er es nicht verhindern konnte, nickte Sixten.
»Entschuldigen Sie, daß ich so naiv nachforsche«, ergänzte Igensard seine Frage, um den Eindruck von Unhöflichkeit zu vermeiden. »Sie müssen berücksichtigen, daß alles, was Sie früher getan haben, Jahre vor meiner Zeit geschehen ist. Ich weiß darüber gar nichts. Für Gerüchte sind selbstverständlich nicht Sie verantwortlich. Aber ich wußte kein anderes Mittel, um an die Wahrheit zu gelangen, als mich an Sie direkt zu wenden. Wären Sie damit einverstanden, mir die Erkenntnisse Ihrer damaligen Untersuchungen zur Verfügung zu stellen? Ich meine, mir und meinen Mitarbeitern?«
Sixten versuchte nochmals den Mund zu spitzen und merkte, daß er ihn weit geöffnet hatte. Um an die Wahrheit zu gelangen. Er war schlichtweg baff. Die Erkenntnisse zur Verfügung stellen…? Das Alter hatte ihn nicht nur gebrechlich gemacht, sondern auch verblödet. Was ging hier vor?
»Warum?« Fast blieben ihm die Worte im Hals stecken. »Warum legen Sie darauf Wert?«
Wie Maxim Igensard da vor ihm saß – ohne sich zu regen, ohne die Miene zu verziehen –, ähnelte sein Gleichmut immer stärker schierer Arroganz. Oder sie beruhte auf Hintersinn.
»Ich bin mir vollständig dessen bewußt«, sagte er ungezwungen, »daß meine Untersuchungsvollmachten nicht für Generaldirektor Fasner und die zu seinem Konzern gehörigen Firmen gelten. Aber ich suche, wenn man so sagen will, nach Hinweisen – nach Verhaltensmustern oder Hintergründen –, die mir helfen, Polizeipräsident Dios’ Handlungen richtig einzuordnen. Darauf erstrecken sich meine Vollmachten. Sicherlich stimmen Sie mir darin zu, daß es unzweifelhaft zur Sache zählt, sich dafür zu interessieren, ob sein doch recht willkürlicher Stil der Polizeiarbeit, obwohl das EKRK ihn nicht gutheißt, schon früher von Generaldirektor Fasner gewünscht oder zumindest gebilligt wurde. Wäre das der Fall, hätten wir eine Erklärung für seine Exzesse, und vielleicht wären sie tatsächlich sogar in gewissem Maß entschuldbar.« Anscheinend dachte Igensard, damit etwas für Sixten Tröstliches zu äußern. »Je mehr ich über diese Zusammenhänge weiß, um so verläßlicher kann ich meine Untersuchungen zu Ende führen.«
Nun durchschaute Sixten den Sonderbevollmächtigten. Die Aussicht, jemand könnte die Arbeit, die er vor Jahren geleistet hatte – und die ihm geraubt worden war –, zu schätzen wissen oder gebrauchen können, verflog wie die flüchtigen Tagträume des Greisenalters. Wenn Sixten ihm verriet, was mit den Untersuchungsergebnissen passiert war, würde Igensard Enttäuschung nur vorspiegeln; die Frage war lediglich ein Köder.
Sixten preßte die Handteller auf die Tischplatte, um das Beben seiner Hände zu unterbinden. »Sie versuchen mir noch immer zu schmeicheln.« Der Ärger machte seine Stimme für einen Moment härter, so daß sie einen festen Klang bekam. »Warum unterlassen Sie nicht das lange Drumherumgerede und sagen mir, was Sie wirklich wollen? Stellen Sie eine offene, ehrliche Frage. Vertrauen Sie auf eine offene, ehrliche Antwort.«
»Sie haben mich mißverstanden«, lautete Maxim Igensards einfallslose Erwiderung. »Wie könnte ich so dreist sein, Ihnen zu schmeicheln? Ich habe die Frage genau aus den Erwägungen gestellt, die von mir aufgezählt worden sind. Aber aus irgendeinem Anlaß stehen Sie meinen Beweggründen mißtrauisch gegenüber. Ich will gar nicht erst versuchen, Ihnen die Ehrbarkeit meiner Motive zu verdeutlichen. Wenn die Tatsache, daß ich als mit den bewußten Untersuchungen beauftragter EKKK-Sonderbevollmächtigter im Rahmen meiner dienstlichen Aufgaben zu Ihnen komme, nicht als Privatperson mit irgendwelchen eigennützigen Zwecken, mich in Ihrer Sicht nicht als vertrauenswürdig qualifiziert, wird bestimmt auch nichts, was ich sagen könnte, Ihren Argwohn verscheuchen. Und wenn der Umstand, daß Sie wegen Ihrer Auffassungen kürzlich zum Ziel eines Mordanschlags geworden sind, Sie nicht davon überzeugt, daß wir in eine ernste Situation geraten sind, kann ich daran mit Worten gewiß nichts ändern.«
Am
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