Amnion 4: Chaos und Ordnung
Beförderung durch Polizeipräsident Dios bin ich unter Direktor Frik tätig gewesen.« Sie hob die zierlichen Schultern. »Dabei habe ich mir eine reichlich kritische Einstellung zum Ressort Öffentlichkeitsarbeit angeeignet. Zuerst hatte ich sogar dagegen Bedenken, die Beförderung anzunehmen. Die Aussicht, genauso wie Direktor Frik handeln zu müssen, war mir« – sie verzog den Mund – »ziemlich peinlich. Aber seitdem ich von Polizeipräsident Dios zur Annahme des Postens überredet worden bin, hat sich meine Auffassung gewandelt. Ihre Sorge um meine Person, Ihre Bereitschaft zu riskieren, Ihre Bemühungen könnten auf Widerstand stoßen, weil Sie mich gewarnt haben, gaben mir die Gelegenheit zu einer interessanten Gegenprobe auf der Seite der Leute, in deren Dienst ich stehe. Mein ›Gewissen‹, wie Sie es nennen, hat mir vorgeschrieben, Polizeipräsident Dios über Ihre Besorgnis zu unterrichten.«
Sixten schnitt, um sein plötzliches Erschrecken zu verheimlichen, sein Trockenpflaumengesicht. O Gott, was habe ich angestellt? Wie viele Leute habe ich ins Unheil gestürzt?
»Seine Reaktion war haargenau so«, erzählte die Direktorin, »wie ich sie mir erhofft hatte. Er hat mir gegenüber erklärt… Ich wollte, ich könnte seine Worte so überzeugend wiederholen, wie sie klangen. Er sagte: ›Wir sollten lieber nicht darüber reden. Es wäre besser, wir wüßten davon gar nichts… Falls und wenn wir durch die normalen, regulären Medien öffentlich über das Vorliegen eines Abtrennungsgesetzes informiert werden, nehmen wir eine Haltung absoluter, strikter Neutralität ein… Wir unterwerfen uns diesen Entscheidungen, egal wie sie ausfallen.‹«
Sixten wand sich unbehaglich im Sessel. »Trotzdem bin ich beunruhigt. So daherzureden ist leicht. Wenn man den richtigen Ton anschlägt, ist es einfach, so etwas mit großer Überzeugungskraft von sich zu geben. Ich weiß, aus Ihrer Sicht haben Sie korrekt gehandelt, Direktorin Hannish, deshalb mache ich Ihnen keine Vorwürfe.« Warden Dios hatte Milos Taverner bestochen, um Angus Thermopyle von ihm eine Falle stellen zu lassen. Damit das Konzil das Autorisierungsgesetz verabschiedete. »Leider muß ich nun Sorge haben, daß ihm von Ihnen eine Frist verschafft worden ist, um darüber nachzudenken, wie er meine Bestrebungen vereiteln könnte.«
Hannish schüttelte den Kopf. Ihr Blick spiegelte absolute Überzeugtheit wider. »Zudem hat er mir versichert, daß ich in keiner Gefahr bin. Daran hatte er keinen Zweifel. Er hat eindeutig beteuert, daß die Attentate auf Sie und Direktor Frik mit dem Abtrennungsgesetz in keinem Zusammenhang stehen.«
Sixten vergaß die Lippen zu spitzen. Zu perplex, zu überwältigt von Staunen oder Entsetzen, um noch Vorsicht zu kennen, starrte er Hannish an. »Wollen Sie damit sagen, er weiß, was wirklich vor sich geht?«
Fest erwiderte die Direktorin seinen Blick. »Ausdrücklich zugegeben hat er’s nicht, aber diese Schlußfolgerung liegt unmißverständlich nah. Und er hat erwähnt, aus der nächsten EKRK-Sitzung könnte vielleicht etwas ersichtlich sein.«
Sixten hatte sich kaum noch in der Gewalt. Seine piepsige Greisenstimme klang wie Gekläff. »Sie meinen, er weiß schon jetzt, was auf der bevorstehenden Sitzung passiert?«
Koina Hannish nickte. »Als er das sagte«, gestand sie nach flüchtigem Zögern, »war der Moment da, in dem ich merkte, daß ich ihm glaube.«
»Selbst falls Igensard recht haben sollte?« gab Sixten zu bedenken. Selbst wenn Dios tatsächlich Taverner bestochen hat, um Angus Thermopyle zu leimen?
Hannish blieb unbeeindruckt. »Auch dann.« Ihre Augen schauten ihn klar an wie Juwelen. »Irgendwie bezweifle ich, daß der Sonderbevollmächtigte voll im Bild ist.«
Aus Sorge, er könnte wieder zu weinen anfangen, hob Sixten die Hände ans Gesicht und drückte die Handballen auf die Augen. Was bedeutete das alles? Um Himmels willen, was trieb Dios? Der Ehrenvorsitzende der VWB-Fraktion war schlichtweg alt, zu alt; jedes Vermögen, mit Intrigen und Krisen zurechtzukommen, das er einmal gehabt haben mochte, war längst erlahmt. Min Donner hatte…
Unvermittelt stockte Sixten das Herz. In einer Anwandlung der Inspiration oder Paranoia malte er sich aus, wie es wäre, falls im Beratungssaal des Konzils während einer Sitzung ein Kaze detonierte. Mit entsetzlicher Lebensechtheit sah er die Folgen eines derartigen Anschlags vor sich: sah Leiber wie Abfall zwischen dem zertrümmerten Mobiliar liegen,
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