Amnion 4: Chaos und Ordnung
um ein Lächeln, allerdings mit begrenztem Erfolg. »Wie bin ich nur an einen Sohn wie dich gekommen? Mir ist genau gegenteilig zumute. Ich fühle mich, als könnte ich dauernd schlafen…« Sie hob die Schultern, verzog das Gesicht. »Praktisch in alle Ewigkeit. Mir graut es vor Bewegung… vor Ereignissen. Ich fürchte mich davor, was als nächstes bevorsteht. Ich habe den Eindruck« – ihr Tonfall nahm ein wenig den Klang trockenen Humors an –, »ich werde auf die alten Tage zur Memme. Angesichts der Tatsache, daß ich fast so jung wie du bin, ist das keine erfreuliche Aussicht. Wahrscheinlich stelle ich ’n Feigheitsrekord auf.«
Davies jedoch war nicht in der Laune für Späße. »In Anbetracht der Tatsache«, entgegnete er, »daß du schon für ein ganzes Leben durch die Hölle gegangen bist, hast du dir das Recht verdient, Furcht zu haben. Es ist höchste Zeit, daß wir anderen dir ein bißchen helfen. Aber du bist uns zu weit voraus. Mit dir gleichziehen können wir nicht mehr.« Sib Mackerns Vorsatz, auf Nick achtzugeben, war zum Debakel geworden. Und weder Mikka noch Davies selbst hatten sich als fähig erwiesen, mit Angus fertig zu werden. »Aus irgendeinem Grund bist immer du es, die uns hilft.«
Morn schnitt eine finstere Miene. »Bestimmt hast du recht«, gab sie ironisch zur Antwort. »Ich entsinne mich deutlich, mich aus dem Karzer der Amnion gerettet zu haben.«
»Das waren Angus und Nick«, widersprach Davies wahrheitshalber. Mikka und Sib. Und die Käptens Liebchen. »Ich habe bloß Schmiere gestanden.«
Plötzlich war Morn zornig. »Du bist ›bloß‹ bei Verstand geblieben«, fuhr sie ihn an, »obwohl du härtest völlig wahnsinnig werden müssen. Du hast ›bloß‹ den Kassierer dermaßen verunsichert, daß er sich nicht getraut hat, dich Nick oder den Amnion auszuliefern. Dir ist es ›bloß‹ gelungen zu verhindern, daß Angus von Nick reingelegt wurde. Wie viele von uns wären noch am Leben, wenn du nicht ›bloß‹ das alles hingekriegt härtest? Und seitdem kümmerst du dich ausschließlich um mich. Also erzähl mir nicht, du wärst niemandem ’ne Hilfe. Derartiges Gerede halt ich nicht aus… Dafür brauche ich dich viel zu sehr.«
Davies empfand eine Regung des Bedauerns, die er nicht unterdrücken konnte. »Tut mir leid, so hab ich’s nicht gemeint. Ich bin nur…« Scham und erzwungene Untätigkeit wirkten auf ihn wie Wut. »Ich bin ratlos. Zweimal hast du mich gerettet, als Nick mich den Amnion ausliefern wollte.« Einmal auf Station Potential. Das zweite Mal durch Umleitung der Kosmoskapsel. »Wenn du dich als Memme bezeichnest, klingt das in meinen Ohren, als ob du mir sagst, es wäre nichts mehr übrig, auf das ich bauen könnte.«
Morn atmete tief durch, entließ den Atem mit langgedehntem Seufzen. »Ich weiß. An sich möchte ich gar nicht so gereizt sein. Aber das dauernde Warten…« Sie strich sich mit den Händen durchs Haar, rang um Gefaßtheit. »Es zermürbt mich. Ständig müssen wir warten und warten, und ich habe keine Ahnung, auf was ich überhaupt noch hoffen soll. Manchmal spüre ich, wie ich innerlich aufgerieben werde.«
Davies kannte dieses Gefühl – oder wenigstens ein ähnliches. Er biß die Zähne zusammen und klammerte sich an den Rand der Koje, damit die angestaute Unrast ihn nicht wieder zu Gezappel hinriß.
Er und Morn fügten sich ins unvermeidliche Abwarten.
Sie spürten, daß die Posaune an einem Liegeplatz festmachte. Die Geräusche des Einmanövrierens und Andockens, die durch den Rumpf hallten, waren ganz unverkennbar. Zuerst spürte man den stetigen, leichten Andruck des Gegenschubs, hörte das schwache Brausen der Manövrierdüsen; dann erklang das Klirren von Metall, verstärkt durch die Enge des Innenraums, während das Raumschiff an den Führungsschienen der Astro-Parkbucht entlangschabte; danach ertönte das Rumoren und Knarren der Greifer, als das Schiff verankert wurde. Zu guter Letzt ertönte das charakteristische Fauchen und Zischen der Luftschläuche, Abfallentsorgungsrohre und Stromkabel, die man der Posaune ankoppelte, begleitet vom typischen Echo.
Langsam verstummte das entfernte, durchdringende Jaulen der Triebwerke. Das Raumschiff hatte angedockt.
Die Anspannung, die Davies’ Wirbelsäule verkrampfte, wuchs um noch einen Grad. Unablässig schloß und lockerte Morn die Fäuste, während sie sich mit den Fingern durch die Haare strich, als ob es sie erhebliche Selbstbeherrschung kostete, sie sich nicht
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