Amnion 4: Chaos und Ordnung
soeben abgeschlossen worden. Wir öffnen die Luftschleuse in fünf Minuten.«
»Lassen Sie sich Zeit«, antwortete die Stimme aus der Kommunikationszentrale mit hörbar unehrlichem Großmut. »Wir haben’s nicht eilig.«
Mit einem neuen, durchs Betätigen eines Schalters verursachten Knacken endete die Verbindung.
Nick deaktivierte das Mikrofon.
»So. Auf geht’s!«
Unvermutet gemächlich, beinahe träge in seinen Bewegungen, drehte er sich dem Ausgang zu. Anscheinend fühlte er sich vollauf sorglos, vollkommen selbstsicher. Trotzdem glichen die Narben unter seinen Augen durch Säure eingebrannten Verätzungen, schienen sich immer tiefer in seine Wangen zu fressen. Seine ganze Gestalt verströmte Hitze, als drohte er überzukochen.
»Zum Lift«, sagte er zu Mikka, Vector, Sib und Ciro. »Vorwärts!«
Eine Sekunde lang zögerten Mikka und ihre Gefährten. Doch nachdem sie kurze Blicke gewechselt hatten, stießen sie sich vom Geländer ab und schwebten durch die Konnexblende hinaus in den Korridor.
Davies konnte Nick nicht mir nichts, dir nichts gehen lassen. Ihn marterte die gleiche Furcht wie Morn. Irgend etwas mußte er dagegen tun. »Moment mal«, ergriff er in energischem Tonfall das Wort. »Du hast uns noch nicht erzählt, was passiert ist. Weshalb bist du so aufgeregt? Was ist eigentlich los?«
Er dachte, Nick gäbe keine Antwort. An sich hatte Nick sich längst zu weit in seine Überspanntheit verrannt; es war vorstellbar, daß er keine normalen Fragen mehr zur Kenntnis nahm oder sich, falls doch, nicht zu Auskünften herabließ.
Infolgedessen überraschte seine Reaktion Davies. Erst spähte er in den Korridor, um sich zu vergewissern, daß Mikka und ihre Kameraden sich inzwischen außer Hörweite befanden; dann brach ein fiebriges Lachen aus ihm hervor, er ballte ruckartig, ja geradezu konvulsivisch die Fäuste. »Sorus«, sagte er, kicherte dabei; doch sofort erstickte das bloße Nennen des Namens ihm die Stimme im Hals. »Die gottverfluchte Sorus Chatelaine.« Für einen Moment stierte er vor sich hin, als bekäme er keine Luft mehr. »Sie ist hier«, krächzte er schließlich.
Es hatte den Anschein, als ob ihn der eigene Frohsinn erdrosselte.
Die Sturmvogel? wollte Davies unwillkürlich fragen. Hier? Arbeitet ihre Kapitänin nicht für die Amnion? Doch die Erinnerung an die Frau, die dem Kassierer dabei behilflich gewesen war, ihn zu verhören, hielt ihn von Bemerkungen zurück. Sorus Chatelaine war die Frau, die Nick aus Geringschätzung das Gesicht zerschlitzt hatte, weil sie ihn nicht einmal des Tötens für wert befand. Der Kassierer hatte sie mit Davies’ Vernehmung betraut. Dir empfohlen, ihn zu foltern, sollte es erforderlich sein. Sie hatte es nicht getan: allem Anschein nach griff sie nur im äußersten Fall zu extremen Maßnahmen. Aber daß sie davor nicht zurückschrak, hatte Davies ohne weiteres geglaubt.
Sie hätte es getan, wäre er nicht von Angus befreit worden…
Demselben Angus, den jetzt Nick unter der Fuchtel hatte. Dem er die Erlaubnis erteilt hatte, daß er mit Davies und Morn ein bißchen spielen dürfte.
Demselben Angus, der an seiner Konsole zusammengesunken war, als wäre sein Rückgrat oder seine Seele zerbrochen.
Nick näherte sich unverändert gemächlich dem Aufgang. Unterwegs packte er jedoch plötzlich die Rücklehne von Angus’ G-Andrucksessel, schwang sich daran zu seinem Ersten Offizier herum. Seine gesamte Erscheinung schien Bosheit auszustrahlen, während er sich vorbeugte und Angus’ Wange tatschte, als wäre der Cyborg ein ungezogenes Kind, zu dem er wider Willen eine unangebrachte Zuneigung hegte.
»Viel Spaß«, wünschte er ihm heiter. »Du weißt ja wohl, daß sich solche Gelegenheiten nicht jeden Tag ergeben.«
Er feixte Davies und Morn zu, vollführte einen Purzelbaum zu den Stufen, als hätte er das Bedürfnis, eine Schau abzuziehen, hangelte sich am Geländer empor und entschwand in Richtung der Lifts.
Sekunden später hörte man das Surren von Servomotoren, als die Lifttür aufrollte und sich schloß. Beim Abfahren des Aufzugs erzeugten Hydrauliksysteme ein unterschwelliges, fast unwahrnehmbares Summen. Nick und seine unfreiwillige Begleitung machten sich ans Öffnen der Luftschleuse; auf den Weg zu Deaner Beckmann.
Morn und Davies waren allein mit seinem Vater – dem Mann, der als erster Morns Leben ruiniert hatte.
Wohlüberlegt rückte Davies zwischen Morn und Angus.
Morn legte eine Hand auf Davies’ Schulter. Vielleicht sollte
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