Amnion 4: Chaos und Ordnung
die Berührung ihn trösten oder beschwichtigen; eventuell an die Wichtigkeit erinnern, die er für sie hatte. Aber langsam bohrten ihre Finger sich in sein Fleisch, umklammerten die Schulter, als könnte sie nirgendwo sonst Halt und Stütze finden.
Angus hatte sich noch nicht geregt. Er lehnte wie eine Marionette mit durchtrennten Drähten an der Konsole, durch die unabweisbaren Gebote seines Data-Nukleus abgekoppelt von jeglicher Willenskraft, Eigenständigkeit und Hoffnung.
»Nun komm schon, Angus«, sagte Morn unvermittelt. Aus Grausen und hilflosem, verbissenem Trotz klang ihre Stimme rauh; Erinnerungen sprachen aus ihrem Tonfall. »Bringen wir’s runter uns. Zeig dich uns von deiner übelsten Seite.«
Davies’ Herz hämmerte gegen seine Rippen wie ein Gefangener gegen Mauern. Spontan stellte er sich auf Kampf ein.
Morns Worte riefen bei Angus ein Schlottern hervor. Zittrig hob er den Kopf. Flüchtig rummelte er am Verschluß der Gurte: man hätte glauben können, seine Hände seien zu steif, zu verkrampft. Dann richtete er sich angestrengt auf, als müßte er umständlich einen Muskel nach dem anderen bewegen.
Wacklig wie ein menschliches Wrack kehrte er sich seinen Opfern zu.
Sie zu sehen schien ihm ein Schaudern einzujagen. Sie standen nur zwei Meter von ihm entfernt, aber er zwinkerte sie an, als könnte er sie kaum erkennen; als bliebe er ihren Anblick zu begreifen unfähig. Er atmete mühsamer: sein Brustkasten rang um Luft, als stäke er in einem EA-Anzug ohne Sauerstoffvorrat. Stumme Qual machte seine gelblichen Augen glasig. Nach und nach färbte angestauter innerer Druck sein Gesicht dunkel. Er verbog die Finger zu Klauen, als bereitete er sich auf ein Blutbad vor.
Plötzlich warf Angus die Arme in die Höhe und drosch mit den Handballen auf seine Schläfen ein.
Unwillkürlich schrak Davies zurück. Morns Finger krallten sich in seine Schulter.
Als hinge davon sein Leben ab, versuchte Angus etwas zu sagen. Aber wegen seines heiseren Röchelns konnte er keine Wörter artikulieren, sie nicht deutlich aussprechen.
Betroffen schaute Davies zu, wie sein Vater sich immer, immer wieder gegen die Schläfen schlug.
Dann sah es so aus, als ob der Druck in Angus’ Innerem sich mit einem Mal löste und wich. »Ich bin nicht dein Sohn«, knirschte er, als gäbe er eine Obszönität von sich, mahlte mit den Kiefern. Seine Stimme stieß einen durchdringenden, gellenden Schrei hervor, als löste höchster Triumph oder furchtbarste Verzweiflung ihm die Kehle. »Ich bin NICHT dein verdammter Scheißsohn!« Im nächsten Augenblick verfiel er in einen Hustenanfall, der wie Schluchzen klang.
MORN
Angus’ Aufschrei wirkte auf Morn wie ein Hieb mit dem Stunnerknüppel. Die Furcht schien ihre Muskeln in Pudding verwandelt zu haben, das Mark ihr aus den Knochen zu sickern. Was? wollte sie fragen.
Was?
Wovon redest du?
Aber sie brachte kein Wort über die Lippen. Für Worte hätte sie Kraft gebraucht – alles, was sie hätte sagen können, jede Art der Entgegnung, wäre für sie ein Kraftakt gewesen –, und ihr war durch Angus’ Aufschreien alle Kraft verscheucht worden. Vor dem Triumph oder der Pein in Angus’ Stimme, einem Ausfluß inwendiger Zerrissenheit, stand sie völlig ratlos da.
Ich bin nicht dein Sohn.
Fassungslos blickte sie Davies an.
Auch er war beträchtlich schockiert worden. Er entsann sich so gut wie sie Angus’. Und seine Fähigkeit, sich von Morn zu unterscheiden, war unterentwickelt: Bisher hatte er nur ein paar Tage gehabt, um als selbständiger Mensch einen eigenen Lebensweg zu gehen. Irgend etwas ging in ihm vor, er versuchte die Verstörung zu überwinden – eine Abwehr- oder Trotzhaltung einzunehmen, sich auf Unversöhnlichkeit zurückzuziehen, auf Gewalt zurückzugreifen. Morn konnte seinem Mienenspiel das Ausmaß des inneren Ringens ansehen. Dennoch blieb er im ersten Moment so handlungsunfähig wie Morn; gebannt und gelähmt durch die schiere, absonderliche Gräßlichkeit von Angus’ Geschrei.
Ich bin NICHT dein verdammter Scheißsohn! Und dann war Angus in ein Husten verfallen, als wären seine Lungen zerfetzt worden…
Und nun hörte er auf zu husten: zwischen zwei Herzschlägen endete sein Keuchen. Die Beschwerden hatten ihm Tränen in die Augen getrieben, die ihm die Wangen verschmierten, aber er beachtete sie nicht. Vielleicht wußte er nichts von ihnen. Er wirkte so entgeistert wie Davies, geradeso benommen wie Morn.
Ganz langsam, als hätte auch er
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