Amnion 4: Chaos und Ordnung
beschwatzen, was er vorhatte? Das hing davon ab, wie vieles von seinem Wissen er ausplauderte. Falls er Beckmann verriet, daß er ein Antimutagen-Serum zu analysieren beabsichtigte, durfte er mit sofortiger Unterstützung rechnen. Um an eine solche Information zu gelangen, trat Beckmann ihm möglicherweise vorübergehend das halbe Schwarzlabor ab. Eventuell jedoch war es Succorso zuwider, soviel preiszugeben, und in diesem Fall dauerte es sicherlich länger, Beckmann zum Entgegenkommen zu überreden. Und Sorus persönlich hatte Retledge genug über die Ereignisse auf Thanatos Minor erzählt, um ihn nervös zu machen.
Es konnte sein, daß Succorso und Beckmann eine ganze Weile mit Diskussionen herumbrachten, bevor die Leute von der Posaune sich im Schwarzlabor frei bewegen durften; ehe sie angreifbar wurden.
Sorus besuchte das Schwarzlabor schon seit Jahren. Sie und Retledge kannten sich schon lange; zeitweilig waren sie ein Liebespaar gewesen. Sie hatte ihm erklärt, daß Succorso keinen Aufwand scheuen würde, um ihr zu schaden. Sogar den Grund hatte sie ihm erzählt.
Im Moment konnte sie nur stillhalten und abwarten, ob Retledge darauf reagierte; ob er die Schlußfolgerung zog, es sei im besten Interesse des Labors, sie davon zu unterrichten, wie Beckmanns Entscheidung in bezug auf Succorso ausfiel. Sobald er sie informierte – falls es geschah –, war der Augenblick da, um das Einsatzteam loszuschicken.
Milos Taverner betrachtete sie, ohne zu zwinkern: seine lidlos und gelblich gewordenen, jetzt katzenhaft senkrecht geschlitzten Augen hatten trotz der im übrigen beibehaltenen menschlichen Eigenschaften seiner Erscheinung keinen Feuchtigkeitsbedarf. »Was ist Ihre Absicht, Kapitänin Chatelaine?« erkundigte er sich; stellte die Frage nicht zum erstenmal.
Seine fremdartig veränderte Stimme klang unerträglich fest. Sie klang, als wäre er gefeit gegen Schmerz, Beunruhigung, Schrecken und alle die sonstigen Emotionen, die Sorus wie Sukkubi auf den müden Schultern durchs Leben schleppte.
Mittlerweile stand er so lange neben ihrem Kommandosessel, daß sie allmählich das Gefühl hatte, er bliebe dort für den ganzen Rest ihres Daseins; daß künftig jede von ihr getroffene Entscheidung nach den Kriterien fremder Ansprüche und Maßstäbe überprüft und in Frage gestellt werden könnte; jeder Atemzug, bis hin zu ihrem letzten Seufzer, mit Alienpheromonen verpestet sein sollte. Daß ihre Existenz verseucht würde wie sie selbst; auf gleiche Weise verfälscht. Taverner leistete ihr jedesmal Gesellschaft, wenn sie sich auf der Brücke aufhielt, als wäre es sein eigentliches Anliegen, sie an die Fakten und Zwänge zu erinnern, die sie ohnedies nie vergessen konnte.
Derartiges Benehmen empfand sie als abscheulich. Schon jahrelang bewies sie den Amnion, daß sie intelligent genug war, um die Sachlage zu verstehen und ohne Beaufsichtigung danach zu handeln.
Trotzdem wünschte Taverner ständig zu erfahren, welche ›Absicht‹ sie hatte.
Verdrossen wandte sie sich ihm zu. »Haben Sie mir geglaubt«, entgegnete sie, obwohl sie anzweifelte, daß er den Zusammenhang begriff, »als ich Ihnen vorhersagte, daß die Posaune das Schwarzlabor anfliegt?«
Die Richtigkeit dieser Ankündigung war ein Triumph ihrer Intuition gewesen. Vielleicht hätte sie Genugtuung verspürt, wäre ihr dafür noch die Kraft geblieben; hätte sie nicht tief in ihrem Herzen ein solches Maß kalter Verzweiflung gehabt. Normalerweise wäre die Posaune nicht mehr einzuholen gewesen. Die Weise, wie der Interspatium-Scout aus dem Amnion-Kosmos verschwunden war, hatte an sich jede Verfolgung unmöglich gemacht. Nach einem Rendezvous mit der Defensiveinheit Stiller Horizont, um neue Ausrüstung und eine Lieferung spezieller Mutagene und Medikamente an Bord zu nehmen sowie Marc Vestabule und die Shuttle-Crew auf das riesige Amnion-Raumschiff zu transferieren, war es weitergeflogen, um durch die mit Trümmern und Statik gespickte Weite des Alls den Emissionen der Posaune nachzuspüren, während die Sturmvogel Kurs auf die Grenze zum Human-Kosmos genommen hatte. Mangels besserer Einfalle hatte Sorus ihr Schiff in die Richtung jenes Abschnitts der Grenzzone gelenkt, wo der Kombi-Montan-Asteroidengürtel den Bannkosmos streifte. Das war für die Posaune, hatte sie überlegt, das logischste und sicherste Flugziel. Einem Raumer auf der Flucht bot der Asteroidengürtel alle Arten von Ortungsschutz und Verstecken. Und die KombiMontan-Station war nicht
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