Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Amnion 4: Chaos und Ordnung

Amnion 4: Chaos und Ordnung

Titel: Amnion 4: Chaos und Ordnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
Vom Netzwerk:
Allerdings erfuhr die Menschheit buchstäblich nichts darüber, was der Amnionsprache zugrunde lag: den Menschen fehlte der Kontext.
    Dieser Mangel bezog sich auf das gesamte Wahrnehmungsspektrum. Einerseits hatte die Menschheit keinen Begriff davon, wie ein Amnioni sinnliche Eindrücke erlebte. Was verursachte einem Amnioni körperliches Behagen? Was bereitete ihm Schmerz? Welche Angehörigen der Spezies waren für andere attraktiv? Andererseits hatten die Menschen auch keine Informationen über die amnionische Kultur. In welchem Verhältnis stand zum Beispiel der individuelle Amnioni zu seinem Nachwuchs? Hatten sie überhaupt Nachwuchs, oder wurde jeder Angehörige der Spezies auf irgendeine unpersönliche Weise quasi fabriziert? Pflegten die Amnion Künste? Ließ ihre gesellschaftliche Struktur Raum für imaginatives Schöpfertum? Wenn ja, wie sahen die Resultate aus?
    Niemand wußte darüber Bescheid. Die Amnionsprache war das einzige Instrument, um Aufschlüsse zu gewinnen.
    Genausogut hätte man einen Feldstecher nehmen können, um die Wunder der Galaxis zu bestaunen. Das Instrument hatte für die gestellte Aufgabe weder die Reichweite noch die Präzision.
    Zahlreiche Hindernisse türmten sich vor der Forschung auf; nicht zu den geringsten davon zählte die Tatsache, daß die Amnion sich untereinander bei der Verständigung keineswegs ausschließlich auf sprachliche Laute stützten. Vielmehr spielten auch die zielgerichtete Freisetzung und Anwendung von Pheromonen, und wahrscheinlich auch, wie manche Theoretiker behaupteten, Lichtschattierungen und Farben, eine maßgebliche Rolle.
    Doch welche genaue Funktion übten Pheromonsignale aus? Bildeten sie ein Analogen zur ›Körpersprache‹ der Menschen – eine mehr oder weniger bewußte Form des Posierens –, oder umfaßten sie einen bedeutungstragenden Code? Traf ersteres zu, hatten sie zweitrangige Wichtigkeit: Übersetzung und Dolmetschen konnten bewältigt werden, ohne sie zu berücksichtigen. War allerdings letzteres der Fall, hatten sie für das gegenseitige Verständnis wesentliche Relevanz.
    Zudem konfrontierte es mit immanenten Schwierigkeiten, für die gedankliche Begriffswelt solcher Aliens annähernd akkurate Definitionen oder Vergleiche zu finden. Eben die konkreten Schranken des Definierens, die die Tauglichkeit oder Bereicherungen einer Sprache ausmachten, verursachten einer Spezies Verständigungsschwierigkeiten. Ein derartiger Fall war die bei den Amnion übliche Bezeichnung eines Kriegsschiffs als ›Defensiv-Einheit‹. Gab ›Defensiv-Einheit‹ wirklich das treffendste menschliche Wort ab, das die Amnion finden konnten, um die intendierte Funktion eines ihrer Kriegsschiffe zu beschreiben? Betrachteten die Amnion ihren genetischen Hegemonismus als eine Form der ›Verteidigung‹? Oder bildete das Wort nur ein Beispiel für die rhetorischen Euphemismen, die Diplomaten und Politiker bevorzugten – ein Versuch, durch sprachliche Manipulation eine Drohung zu beschönigen?
    In solchen Fragen wäre Präzision nützlich gewesen. Leider blieb sie unerreichbar.
    Eine der kritischsten Erscheinungen bei den Verständigungsschwierigkeiten bestand aus dem Fehlen von Personalpronomen in der Amnionsprache. Wenn amnionische Diplomaten oder andere ›Entscheidende‹ Verlautbarungen vortrugen, nahmen sie keinerlei Bezug auf sich selbst als Individuen. Sie kannten keinen privaten Terminkalender, brachten keine persönlichen Wünsche zum Ausdruck. Ohne Rücksicht auf die Tragweite der zu diskutierenden Themen vertraten sie entweder den Standpunkt der Amnion oder hatten gar keine Meinung. Nur ehemalige Menschen, die durch Amnion-Mutagene unvollständig transformiert worden waren, verwendeten Wörter wie ›ich‹, ›mir‹, ›mich‹ etc.
    Ein ähnlich schwerwiegendes Problem warf der allem Anschein nach in der Amnionsprache feststellbare Mangel an abstrakten, der Menschheit liebgewordenen Konzeptionen auf, darunter Begriffen wie ›Gut‹, ›Böse‹, ›Gerechtigkeit‹, ›Barmherzigkeit‹ und ›Treue‹. Theoretisch war es denkbar, daß die Amnion derlei Werte hatten, aber sich darüber ausschließlich durch Pheromone verständigen konnten. Möglicherweise galten sie bei ihnen auch als zur Intimsphäre gehörig oder zu entblößend, um sprachlich behandelt zu werden.
    Im Gegensatz dazu wirkte die Verwendung von Personalpronomen – wenigstens nach menschlichen Begriffen gleichermaßen so naheliegend normal, dermaßen vielseitig nützlich und derartig

Weitere Kostenlose Bücher