Amnion 4: Chaos und Ordnung
Anzuginnern war ihm, als spürte er, wie sich die schwarze Kälte in seinen Leib fraß.
Du bleibst, wo du bist, verflucht noch mal. Laß die Sturmvogel vorüberfliegen. Bleib im Dunkeln allein und am Leben. Bau auf die Hoffnung, daß die Anzugsysteme so lange funktionieren, bis die Posaune dich holt. Daß die Posaune überhaupt lange genug überdauerte, den Aufwand auf sich nahm, seinetwegen umzukehren.
Oder handle. Trotze Nick ein letztes Mal. Hör damit auf, immerzu darum zu flehen, verschont zu werden. Versuch einen Schlag im Namen all der Menschen zu führen, die er gerne hatte.
Aber du tust es trotzdem. Vielleicht war das die Wahrheit. Vielleicht hatte Morn es, indem sie es laut aussprach, zur Wahrheit erhoben.
Wenn er duldete, daß Nick ihn verschonte, mußte er später dafür die Zeche zahlen.
Nick hielt auf das Raumschiff zu. Alle paar Sekunden streifte ihn das Scheinwerferlicht der Sturmvogel, glänzte auf seinem EA-Anzug wie Sternenschein. Er hatte, als er sich abstieß, einen ausreichenden Vorbehalt berücksichtigt; seine Trajektorie sollte sich erst in einigen weiteren Momenten mit dem Kurs des Raumers kreuzen.
Sib beschloß, nicht auf Barmherzigkeit zu warten. Er sagte nein zu sich.
Sib stellte die Füße nebeneinander und sprang von dem Asteroiden dem Raumschiff entgegen.
Er atmete nicht. Er war sich nicht sicher, ob sein EA-Anzug noch genug Luft enthielt. Ob er sich kräftig genug abgestoßen oder die erforderliche Richtung eingeschlagen hatte, um tatsächlich zu dem Schiff zu gelangen, wußte er ebensowenig. Er konzentrierte sich auf Nick, als glaubte er, Nick könnte ihn dorthin, wohin er wollte, auf irgendeine Weise mitziehen.
Wie ein Falter trieb er mitten durchs Gewimmel des Asteroidenschwarms auf das riesenhafte Raumschiff zu.
Jetzt sah er, daß nicht der demolierte Frachtraum an der Seite der Sturmvogel Nicks Ziel abgab. Vielmehr war es der Bug. Aus den Geschützkuppeln ragten dort wie gefährliche Dornen die Rohre der vorderen Bordartillerie: schlanke Laser, dicke Materiekanonenläufe, kompliziert beschaffene Protonenemitter.
Irgendwie war es Sib gelungen, in die richtige Richtung zu springen. Nick erreichte den Rumpf wenige Sekunden vor ihm, packte einen Haltegriff. Sib kam kaum fünf Meter neben Nick auf dem Raumschiff an.
Doch an dieser Stelle gab es keine Haltegriffe.
Er prallte auf und sofort ab, trieb fort – zurück in die Wirrnis des Asteroidenschwarms. Der Raumer würde an ihm vorüberrasen, ihn in der Weite des Alls zurücklassen.
Nein. Die Anzugstiefel konnten ein Magnetfeld erzeugen. Jeder Raumanzug, der etwas taugte, verfügte über diese Eigenschaft; sie war bei Externaktivitäten fürs Überleben unverzichtbar.
Er drückte den entsprechenden Kippschalter und vollführte einen Purzelbaum.
Sobald seine Stiefel aufs Metall knallten, blieben sie darauf haften.
An irgendeinem Zeitpunkt fing er wieder an zu atmen. Für eine Zeitspanne, die er wie eine Ewigkeit empfand, war er aus Erleichterung und Sauerstoffmangel blind; seine Augen sahen das Umfeld nur verschwommen.
Aber die Zeit war da. Hier war es jetzt soweit. Schluß mit dem Gezauder. Ein Ende der Tatenlosigkeit. Es war Zeit zum Zuschlagen.
Er zwinkerte, bis er wieder deutlich sehen konnte. Sein Lasergewehr war zu klein. Eine Öffnung in den Rumpf der Sturmvogel zu brennen kostete lange Minuten; das gleiche galt für die Zerstörung eines der Bordgeschütze. Doch es gab andere Ziele…
In der Helligkeit seiner Helmlampe und der Positionslichter der Sturmvogel suchte er die Rumpffläche nach Partikelanalysatoren, Kameras, Trichterantennen ab; nach allem, was seiner Waffe zum Opfer fallen konnte.
Da: eine Videokamera, eine von mehreren Kameras, die die Dunkelheit erforschten.
Er zielte mit dem Lasergewehr auf sie, drückte die Sensortaste. Der erste Schuß verfehlte die Kamera. Dann schmolz ein rotes Aufblitzen die Kamera von ihrer Aufhängung.
Ein Schlag. Sib entblößte die Zähne. Viel hatte er nicht angerichtet, aber etwas. Er hatte etwas zustande gebracht, was er davor noch nie geschafft hatte. Wäre ihm dazu die Gelegenheit gegeben worden, hätte er nun laut gebrüllt, bis seine stummen Schreie des Grauens zu einem Geheul der Auflehnung emporgellten.
Nick kam ihm zuvor.
»Ich habe dich gewarnt.«
Sib fuhr herum; sah vor sich Nick.
»Mit Sorus rechne ich ab.« Er sprach mit der Stimme eines Mörders.
Starr vor Verblüffung schaute Sib zu, während Nick mit beiden Armen die Waffe hob und auf ihn
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