Amnion 4: Chaos und Ordnung
Stunde in einer Position, von wo aus sie eine Flucht der Posaune aus dem Asteroidenschwarm vereiteln kann. Falls sie versucht, eine Flucht durch Anstreben hyperspatiumadäquater Übersprungsgeschwindigkeit zu erreichen, wird sie vernichtet. Sollte sie versuchen, innerhalb des Asteroidenschwarms der Kaperung zu entgehen oder dagegen Widerstand zu leisten, werden Stiller Horizont und Sturmvogel sie in gemeinsamer Operation aufbringen. Die Koordinierung der Kommunikation geschieht durch mich, damit keine Fehler unterlaufen.«
Keine Fehler. Toll.
Sorus wandte sich ab, um die Anzeigen der Kommandokonsole abzulesen. In Wirklichkeit bestand die ganze Lage aus einem einzigen Riesenfehler; die Situation war vom Anfang bis zum Ende eine Katastrophe. Succorso hatte sie überlistet. Noch übler war, daß gegenwärtig Thermopyle sie nasführte. Sie hatte ihre beste Waffe verloren, und alle ihre Bemühungen, die von den Amnion gestellte Aufgabe zu erfüllen, kehrten sich gegen sie selbst.
Normalerweise war sie keine Frau, die zu Stoßgebeten neigte; jetzt jedoch flehte sie namenlose Sterne an, ihr ein kampfstarkes VMKP-Kriegsschiff zu Hilfe zu schicken.
ERGÄNZENDE DOKUMENTATION
WARDEN DIOS: HINTERGRUNDINFORMATIONEN
(Diese Notizen wurden – neben anderen – in Warden Dios’ Computerdateien gefunden, nachdem es dem Leiter der VMKP-Abteilung Datenakquisition, Direktor Hashi Lebwohl, gelungen war, die privaten Zugriffscodes des ehemaligen VMKP-Polizeipräsidenten zu knacken.)
Oft denke ich darüber nach, wie ich eigentlich in diese Klemme geraten bin. In gewisser Beziehung spielt das Wie allerdings gar keine Rolle. Ich stecke drin. Und ich habe mir die Suppe selbst eingebrockt.
Mir bleibt überhaupt keine andere Wahl, als mich damit auseinanderzusetzen. Was es mich kostet, ist unerheblich, besonders wenn ich daran denke, welchen Preis mittlerweile die Menschheit für meine Irrtümer entrichtet hat. Und dieser Zoll kann sich nur noch immerzu vergrößern, es sei denn, mir fällt ein Weg ein, wie ich endlich meiner wahren Bestimmung gerecht werden kann.
Des Arguments, daß das gegenwärtige Arrangement trotz seiner schrecklichen Mangelhaftigkeit beibehalten werden sollte, weil es besser als die Alternativen sei, bin ich mir auf schmerzliche Weise bewußt. Man empfiehlt das kleinere Übel. Und immerhin wird die VMKP, falls ich es schaffe, meinen eigenen Untergang herbeizuführen, unausweichlich sein, was Hashi Lebwohl wahrscheinlich ›neutralisiert‹ nennen würde. Keiner kennt die Gefahr so genau wie ich oder versteht unsere Mittel so effektiv anzuwenden. Niemand hat eine derartig fatale Begabung wie ich dazu, Untergebene zur Loyalität zu inspirieren, oder meine ziemlich ambivalente Fähigkeit zum Fädenziehen. Bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Person, die danach meinen Platz einnimmt – Min Donner, wenn Gott will –, in ihre Posten hineingewachsen ist, wird der Human-Kosmos so schutzlos wie nie zuvor sein.
Aber das Argument beeindruckt mich nicht. Ich lehne die Vorstellung ab, die Polizei könnte der Menschheit besser dienen, wenn sie stark und korrupt ist anstatt schwach und ehrlich. Niemand Korruptes kann sich jemals durch wirkliche Stärke auszeichnen. Man sehe sich nur Holt Fasner an. Er verfügt über alle erdenkliche Macht. Obendrein ist er mein Chef. Mein Boss. Und trotzdem kann er nichts tun, um zu verhindern, daß ich seinen Sturz bewirke. Falls ich scheitere, dann nicht, weil er stark genug ist, um meine Absicht zu durchkreuzen, sondern weil meine Erfüllungsgehilfen, Angus Thermopyle und Morn Hyland, für meine Komplizenschaft – für die Korruption, die ich gefördert habe, um vor Holt Fasner die Wahrheit zu verschleiern einen zu hohen Preis entrichten mußten.
Das ist der Grund, warum ich nicht resigniere. Ich kann einfach nicht das Unheil, das ich gestiftet haben, durch jemand anderes bereinigen lassen.
Aber immer wieder denke ich über die Vergangenheit nach, durchforsche sie nach Hinweisen, die meinen Nachfolgern helfen könnten, meine Irrtümer zu vermeiden.
Mein Leben lang bin ich vom Vorbild des Starkseins besessen gewesen.
Die Pflegeeltern, bei denen ich aufgewachsen bin, nachdem meine leiblichen Eltern umgekommen waren, wohnten in einer der urbanen Zwischenzonen der Erde. Auf der einen Seite der Stadt hatten die Gossengangs das Sagen. Auf der anderen Seite herrschte eine harmlosere Art von Zivilisation vor. Und in der Zwischenzone wechselten die Verhältnisse wie Ebbe und Flut, je
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