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Amnion 4: Chaos und Ordnung

Amnion 4: Chaos und Ordnung

Titel: Amnion 4: Chaos und Ordnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen R. Donaldson
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aus jeder der sechs politischen Großräume der Erde, je ein Delegierter von den neun wichtigsten Weltraumstationen. Hashi kannte sie so gut, wie man Männer und Frauen, denen man nie begegnet war, überhaupt kennen konnte. Anhand ihrer Dossiers wußte er ihre Namen und Vorlieben, hatte er Kenntnis von ihrem Abstimmungsverhalten und ihrer Lebensgeschichte. Und dank seines wunderbaren Gedächtnisses hatte er die gleichen Informationen über die Mehrheit ihrer Mitarbeiter und Berater. Seine Untergebenen in der DA-Abteilung nannten ihn manchmal ›Datenspeicher auf Beinen‹, und mit berechtigtem Anlaß. Im Zweifelsfall hätte er in diesem Saal ausschließlich die Wachen nicht mit Namen anreden können.
    Die meisten Konzilsdeputierten hatten sich schon hingesetzt; Abrim Len dagegen stand in der Mitte des Runds der Ratstafel und verbeugte sich wie eine Marionette vor jedem, der seine Aufmerksamkeit beanspruchte. Mit Ausnahme des Vorsitzenden erhielten die Deputierten bei jeder Konzilssitzung per Zufallsauswahl andere Sitzplätze zugewiesen, um jedem Eindruck irgendeiner Bevorzugung vorzubeugen. Daher beruhte es auf reiner Zufälligkeit, daß zwei der heftigsten Kritiker der VMKP ihre Plätze neben dem Vorsitzenden harten: rechts Sen Abdullah, der Deputierte der Ostunion, links Vize-Deputierte Sigune Carsin vom Vereinten Westlichen Block. Dennoch schien dieser Zufall nichts Gutes zu verheißen.
    Auch andere Gesichter waren Lebwohl – aus ganz unterschiedlichen Gründen – recht vertraut. Blaine Manse, die Delegierte von Beteigeuze Primus, hatte sich durch wiederholte peinliche Vergehen gegen die Parlamentsordnung eine gewisse Reputation erworben. Punjat Silat von der Allianz Asiatischer Inseln und Halbinseln hatte faszinierende Monographien – wenngleich ziemlich spekulativen Inhalts – über die Philologie der Intelligenz verfaßt. Vest Martingale, die Delegierte der KombiMontan-Station, hatte einen für ihre Begriffe wohl unerfreulichen Part bei der Verabschiedung des Autorisierungsgesetzes gehabt.
    Auf halber Länge der Ratstafel, Martingale gegenüber, lehnte Kapitän Sixten Vertigus in seinem Sessel, der alte Held des Erstkontakts der Menschheit mit den Amnion und Urheber der heutigen Sondersitzung. Den wackligen Kopf an die Rücklehne gestützt, hielt er die Augen geschlossen: es hatte den Anschein, daß er schlief.
    Maxim Igensard saß hinter seiner Förderin Martingale. Mehr denn je ähnelte der Sonderbevollmächtigte einem als Beute getarnten Raubtier. Unter anderen Umständen wäre er infolge seiner grauen Kleidung und seines schlichten Äußeren inmitten der Experten und Sekretäre gar nicht aufgefallen. Momentan jedoch gab er Spannung ab wie ein Atomkraftwerk. Hashi Lebwohl vermutete – oder vielleicht hoffte er es –, daß Igensard, sobald er vom Inhalt der Gesetzesvorlage Kapitän Vertigus’ erfuhr, um es im Jargon des VMKP-HQ auszudrücken, zu ›kritischer Masse‹ emporkochte.
    Lebwohl kannte noch etliche weitere Gesichter; doch in dem durch sein Eintreten verursachten Schweigen schweifte sein Blick, als ob eine durch Gereiztheit und Erregung erzeugte Reibung ihn anzöge, an der Tafel entlang bis zu ihrem Ende. Und dann fuhr Hashi selbst ein Schreck in die Glieder.
    »Direktor«, sagte im gleichen Moment Koina Hannish halblaut, als wollte sie eine Warnung aussprechen.
    Im letzten Sessel, an einem Platz, der durch das Fehlen eines Computers und jeglicher Papiere auffiel, saß Cleatus Fane.
    Holt Fasners Geschäftsführender Obermanagementdirektor: ein Mann, von dem es hieß, er redete mit der Stimme und hörte mit den Ohren des Drachen.
    Von rundlicher Statur war er auf jeden Fall, doch zusätzlich nahm er durch die schiere Kraftfülle seiner Persönlichkeit soviel Raum in Beschlag, daß er um so fetter wirkte. Seine Augen hatten die unergründliche Grünfärbung der Tiefsee, und seine dicken Lippen zeigten ein unbarmherziges Lächeln. Darunter verhüllte ein breiter Schwaden weißen Barts seinen Hals und das Brustbein. Allerdings mußte man die Behaarung auf Oberlippe, Backen und Kinn eher drahtig als weich nennen: Wenn er sprach oder den Kopf drehte, bewegte sich sein Bart wie eine Klinge. Trotzdem hatte er, wie schon seitens vieler Menschen beobachtet worden war, eine mehr als lediglich geringfügige Ähnlichkeit mit dem Weihnachtsmann.
    Er sah Hashi Lebwohls verdutzten Blick und schmunzelte wohlwollend, als hätte er sich eingefunden, um über den Beratungssaal und alle, die sich darin dem Werk

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