Amok: Thriller (German Edition)
seufzte sie gedehnt. »Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll. Als sie mit ihrer Befragung fertig waren, hatten sie mich fast so weit, dass ich an meinem eigenen Verstand zweifelte.«
»Was haben Sie denen genau erzählt?«
Julia sah ihn an. Er hatte sich nach vorn gelehnt, und sein Gesicht war so nahe an ihrem, dass sie seinen Pfefferminzatem riechen konnte. Das erinnerte sie daran, dass sie ein Thunfischsandwich gegessen hatte. Sie lehnte sich zurück – eine Haltung, die sie wesentlich entspannter aussehen ließ, als sie sich fühlte.
»Wollen Sie das wirklich wissen?«
Er nickte. Ziemlich heftig sogar. Sie musste wieder an die Warnung der Kriminalbeamtin denken: Kein Wort an die Presse.
Ihr Blick fiel auf den Bericht. Während der Befragungen war sie sehr erregt, und ihre Erinnerung war häufig ungenau und widersprüchlich.
Ihr könnt mich mal, dachte sie.
Und erzählte es ihm.
33
Toby Harman besaß einen BMW M6, bezahlt mit dem Geld seines Onkels. Der Trip nach Sussex war eine ideale Gelegenheit, den Wagen mal so richtig auszufahren, aber die passende Stimmung von Freiheit und Abenteuer wollte sich heute irgendwie nicht einstellen. George hatte am Telefon beunruhigt geklungen. Er hatte nicht sagen wollen, weshalb er Toby sprechen wollte, aber gute Nachrichten waren es höchstwahrscheinlich nicht.
Nach dem Besuch eines kleinen Internats in West Sussex hatte Toby sein Studium der Alten Geschichte an der Durham University mit einer mittelprächtigen Note abgeschlossen. Gleich nach dem Examen war er im Unternehmen seines Onkels untergekommen, wo er ein speziell auf ihn zugeschnittenes, auf mehrere Jahre ausgelegtes Ausbildungsprogramm begonnen hatte. Dabei sollte er zwischen verschiedenen Firmen und Abteilungen wechseln, um praktische Erfahrung zu sammeln und ein Verständnis für die diversen Arbeitsvorgänge zu bekommen, bevor er seinen Platz im Führungsstab des Unternehmens einnehmen würde.
In der Praxis war es allerdings nicht ganz so gelaufen. Zum einen langweilte sich Toby schnell und ließ sich leicht ablenken, und die Ausbildung forderte ihn nicht genug, um sein Interesse auf Dauer wach zu halten. Dazu kamen andere Probleme, bei denen es oft um weibliche Mitarbeiterinnen ging. Dass er auch schon mal beim Sex im Sitzungszimmer erwischt wurde, kam bei seinem Onkel nicht allzu gut an.
Und dann war da die Sache mit der Pünktlichkeit. Er sah es einfach nicht ein, dass er die Bürozeiten genauso strikt einhalten sollte wie der Rest der Belegschaft. Alle wussten, dass er etwas Besonderes war, und es hatte wenig Sinn, so zu tun, als sei dem nicht so. Und was war denn schon dabei, wenn er keine Lust hatte, vor elf anzutanzen, weil es am Abend zuvor im Casino mal wieder ganz besonders spät geworden war?
Seine Finanzen waren eine weitere permanente Quelle von Spannungen. Nachdem er sich über längere Zeit immer wieder aus der Portokasse einer Produktionsfirma bedient hatte, drohte George damit, ihn nicht nur zu entlassen, sondern ihm auch noch eine Anzeige wegen Diebstahls anzuhängen.
Danach gelobte Toby Besserung, wollte aber im Gegenzug stärker in die Entscheidungen einbezogen werden. Er bekam verschiedene Vorstandsposten und durfte seine Energien fortan auf den einen Bereich konzentrieren, der ihn wirklich interessierte: Grundstückserschließung. Seine Bilanz war bislang allerdings eher durchwachsen, und dass er seine Spielsucht nicht in den Griff bekam, verkomplizierte die Sache noch weiter. Er rechnete daher fest damit, dass sein Onkel ihm auch heute wieder die Leviten lesen würde.
Bei Hickstead fuhr er von der A23 ab, umging Burgess Hill und fuhr weiter durch das Hinterland von East Sussex. Am Horizont ragten die Hügel der Downs auf, und die Schatten von Bäumen huschten über die Windschutzscheibe. Das üppige Grün der Landschaft hatte immer eine leicht verstörende Wirkung auf ihn. In einer Umgebung aus Asphalt, Beton und Stahl fühlte er sich irgendwie heimischer.
Als er durch Chilton fuhr, fiel ihm plötzlich ein Lichtblitz ins Auge. Im ersten Moment hatte es den Anschein, als stünde die alte Eibe in Flammen. Dann erkannte er mit einem leisen Schock, was es wirklich war: Die Sonne spiegelte sich in den Zellophanhüllen der Gestecke und Kränze, die zu Dutzenden hier abgelegt worden waren. Er hielt den Blick starr auf die Straße gerichtet und ignorierte die Schaulustigen, die auf dem Dorfplatz umherschlenderten. Der letzte Abschaum, alle miteinander.
Während er in die
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