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Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)

Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)

Titel: Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Teege , Nikola Sellmair
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gehen, ich wolle das alles nicht mehr sehen. Da kamen die Dienstmädchen und sagten: Bitte bleib bei uns, du hilfst uns immer, was sollen wir ohne dich anfangen?»
    Sie sei der Schutzengel der Mädchen gewesen, sagt Ruth Irene Göth: «Im ganzen Lager hieß es: Der liebe Gott sandte uns einen Engel. Mich.»
    Als Blair ihr vorhält, sie hätte die Dienstmädchen nur schützen müssen, weil sie von Amon Göth bedroht und geschlagen worden seien, wehrt Ruth Irene Göth ab: Die meisten hätten zu dieser Zeit ihr Personal nicht besonders gut behandelt.
    Letztlich seien es aber nicht die Bitten der Dienstmädchen Helen Rosenzweig und Helen Hirsch gewesen, die sie zum Bleiben veranlasst hätten, sondern ihre Liebe zu Amon Göth, so Ruth Irene: «Er war ein sehr gutaussehender Mann, jeder mochte ihn. Er war hilfsbereit gegenüber seinen Freunden, und er hatte Charme – nur nicht gegenüber den Gefangenen, da wirklich nicht.» Mit ein paar Häftlingen habe Göth mehr zu tun gehabt, einige habe er auch gut leiden können. Aber es seien so viele Juden im Lager gewesen, da könne man ja nicht jeden kennen.
    Frauen bei der Zwangsarbeit im Lager Płaszów
    Auf Nachfrage von Jon Blair gibt Ruth Irene Göth jetzt auch zu, dass es alte Menschen und Kinder im Lager gab, jedoch habe sie die Kinder «nie gesehen». Doch dann berichtet sie von dem Kindertransport, vermutlich von Płaszów Richtung Auschwitz, von dem sie bereits ihrer Tochter Monika erzählt hatte: «Ich sah nur einmal, dass sie Kinder auf einem Lastwagen wegbrachten, und ich war niedergeschlagen, es ging mir irgendwie ans Herz. Eine Freundin sagte: Es sind doch bloß Juden.»
    Ob sie diese Zeit bereue, fragt Blair, sie antwortet: «Ja, ja, wirklich. Ich schadete niemandem. Niemand kann mir eine böse Tat nachweisen.»
    Im Lager sei sie nie gewesen, nie zu einer der Baracken gegangen. Sie sei in der Villa geblieben, in «meinen kleinen vier Wänden». Von der Villa aus habe sie die Häftlinge im Steinbruch sehen können, es seien ganz normale Arbeiter gewesen. Nein, sie habe nicht gewusst, dass Menschen im Steinbruch gestorben seien. Nein, sie habe auch nie die Exekutionen gesehen, die auf dem Hügel stattfanden, nur wenige hundert Meter von ihrem Haus entfernt.
    Gegenüber ihrer Tochter Monika zeigte Ruth Irene Göth kurz vor ihrem Tod erstmals Reue: «Ich hätte mehr helfen sollen. Meine Krankheit ist vielleicht die Strafe Gottes dafür, dass ich es nicht versucht habe.»
    Am Tag nach dem Interview mit Jon Blair, am 29 . Januar 1983 , schluckte Ruth Irene Göth Schlaftabletten.
    Vielleicht hatte Ruth Irene Göth Angst vor dem, was nach der Ausstrahlung von Blairs Dokumentation auf sie zukommen würde. Doch das war nicht der Hauptgrund für ihren Freitod: Schon in den Monaten vor den Filmaufnahmen hatte sie über Selbstmordabsichten gesprochen.
    In ihrem Abschiedsbrief schrieb sie ihrer Tochter: «Liebe Monika … Verzeih mir, was ich alles falsch gemacht habe … Ich gehe. Ich bin ein Wrack. Mir und allen zur Last. Es ist so schwer, mit dieser Krankheit allein eingesperrt zu sein. Ich möchte schlafen und nie wieder aufwachen. Die Angst starrt mich aus allen vier Ecken an. Glaub mir, es fällt mir nicht leicht zu gehen, aber dieses Leben, angekettet an die Couch, ist grauenhaft … Mach es gut. Sei nicht immer so hart. Ich bin so verzweifelt gewesen. Mein Leben wäre nur noch ein Siechtum geworden … Behalte mich in guter Erinnerung. … leicht hast Du es mir auch nicht gemacht. Aber ich habe Dich genauso geliebt, wie Du Dein Kind liebst. Deine Mutter».
    Kein Wort über die Zeit mit Amon Göth.
    *
    Ich konnte es kaum erwarten, meine Großmutter in der Dokumentation über Oskar Schindler zu erleben. So lange hatte ich sie nicht gesehen. Jetzt würde ich sie auf dem Bildschirm betrachten können. Ich habe den Film aus der Stadtbücherei ausgeliehen, in der ich auch das Buch über meine Mutter fand.
    Der Film besteht aus vielen Interviews, die der Regisseur Jon Blair mit Zeitzeugen geführt hat. Ich frage mich, wann endlich meine Großmutter erscheint. Ich spule vor und zurück und kann die Sequenz einfach nicht finden. Dann endlich, bei Minute 17 , taucht meine Großmutter auf.
    Kerzengerade sitzt sie auf einem Stuhl, blickt direkt in die Kamera. Ihr Gesicht ist schön, mit feinen Zügen. Immer noch hat sie etwas Mädchenhaftes. Sie sieht genauso aus, wie ich sie in Erinnerung hatte. Als ob die Zeit stehengeblieben wäre.
    Was sie sagt, ist nicht wichtig. Ich

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