Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)
Nächten Stehbunker verurteilt, weil er in seinem Strohsack eine Mütze gegen die Kälte versteckt hatte. Erst am nächsten Morgen wurden die Zellen wieder geöffnet. Manchmal war dann einer der Männer tot, die anderen hatten die Nacht dicht gedrängt an eine Leiche verbringen müssen. Ich lasse mir die Details erklären. Wer denkt sich so etwas Grausames aus? Menschen wie mein Großvater. Auch in Płaszów gab es Stehkammern.
Immer mehr Besucher drängen nach unten in den engen Keller. Ich werde von allen Seiten angerempelt und gehe schnell nach draußen. Eigentlich ist es erfreulich, dass so viele Menschen nach Auschwitz kommen, nicht weglaufen vor der Geschichte.
Nahe beim Büro des ehemaligen KZ -Kommandanten Rudolf Höß kommen wir an einem Galgengerüst vorbei: Hier wurde Höß nach dem Krieg gehängt. Der Mann, der den Massenmord in Auschwitz organisiert hat. Ich weiß noch, wie ich las, dass mein Großvater zusammen mit Rudolf Höß nach Polen ausgeliefert wurde und die Menschen sich wütend auf Amon Göth stürzten und ihn lynchen wollten. Ich war bestürzt. Die Szene macht deutlich, wie groß der Hass auf meinen Großvater gewesen sein muss. Nicht erst Spielbergs Film hat ihn zum personifizierten Bösen gemacht, sondern er war schon zu seiner Zeit ein Symbol für den sadistischen Täter.
Um die Höß-Hinrichtungsstätte hat sich eine Gruppe Jugendlicher versammelt. Ich stelle mich etwas abseits und beobachte sie: Was sie in diesem Moment wohl empfinden? Groll? Genugtuung? Oder Gleichgültigkeit?
Eine Gaskammer ist noch erhalten. Auch ein Krematorium steht noch. Der Raum ist düster, die Decken sind niedrig. Ich blicke in das dunkle Loch des Verbrennungsofens, während neben mir Touristen mit ihren Handys die unwirkliche Szenerie filmen.
Irgendwann wird mir alles zu viel. Ich will weg aus Auschwitz. Ich habe das Gefühl, mir drückt jemand die Kehle zu. Dieser Ort ist mir zu schwarz, er ist wie ein tiefes Loch, wie ein Grab, in das es mich zieht. Ich will mich nicht in diesen Sog reißen lassen. Wenn ich mich nur als Enkelin eines Täters sehe, büße und leide, hilft das weder den Opfern noch mir. Es war gut, hier gewesen zu sein. Aber ich will nicht noch einmal herkommen.
Meine Großmutter hätte man hier durchschicken müssen. Hier hätte sie ihre Augen nicht länger verschließen können.
*
Anfang der achtziger Jahre bereitete der Londoner Filmemacher Jon Blair in Absprache mit Steven Spielberg einen Dokumentarfilm über Oskar Schindler vor. Blair leistete damit einen großen Teil der Recherche für den späteren Spielfilm «Schindlers Liste». Er sprach mit Schindlers Witwe Emilie und vielen Überlebenden. Auch die damals 65 -jährige Ruth Irene Göth sagte ihm ein Interview zu, obwohl sie schwer erkrankt war; sie litt an einem Lungenemphysem und war zeitweilig auf ein Sauerstoffgerät angewiesen.
Ruth Irene Göth dachte, Blair werde sie nach Oskar Schindler fragen und allein kommen. Stattdessen interessierte sich Blair aber für Amon Göth und rückte mit einem ganzen Filmteam an. Lange befragte er die kranke Frau.
In den alten Videoaufnahmen sieht man eine sorgfältig geschminkte und frisierte Frau, die tiefschwarz gefärbten Haare hochgetürmt, von der schweren Krankheit gezeichnet und immer wieder nach Luft ringend. Sie spricht Englisch und wählt ihre Worte mit Bedacht.
Immer noch verteidigt sie Amon Göth: «Er war kein brutaler Mörder. Nicht mehr als andere. Er war wie alle in der SS . Er brachte ein paar Juden um, natürlich, aber nicht viele. So ein Lager ist natürlich kein Vergnügungspark.»
Sie behauptet, dass Amon Göth vorher nie mit Juden zu tun gehabt habe, nur in diesem Lager. Die blutigen Ghettoauflösungen, die Göth vor und während seiner Kommandantur in Płaszów geleitet hat, erwähnt sie nicht.
Zu Oskar Schindler hatte Ruth Irene Göth auch nach dem Krieg noch sporadischen, freundschaftlichen Kontakt. Im Interview mit Jon Blair sagt sie über ihn, er habe die Juden gut behandelt, aber vor allem deshalb, weil sie ihm nützlich gewesen seien. Schindler, Göth, sie selbst – sie alle seien «gute Nazis» gewesen, «wir konnten nichts anderes sein». Es habe keine Alternative gegeben. Alle hätten sie die Juden nicht gemocht, so seien sie nun mal erzogen worden.
Über sich sagt Ruth Irene Göth: «Ich hatte immer das Gefühl, dass all das falsch war, aber ich habe die Regeln dieser Zeit nicht gemacht. Wenn wir eine Beziehungskrise hatten, sagte ich ihm, ich würde
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