Amon: Mein Großvater hätte mich erschossen (German Edition)
die Intifada. Ich hatte mir ein traumatisiertes Volk vorgestellt – in einem Land, in dem an jeder Ecke eine Bombe hochgehen kann.
Ich fand eine Stadt, auf Sand gebaut, die hellen Bauhaus-Klötze auf Stelzen, sodass die Meerluft durch die Straßen wehen konnte.
Ich hatte das Schwere erwartet und fand: Leichtigkeit.
An diesem Nachmittag in Israel wusste ich: Hier will ich bleiben, in diesem Land!
Ich setzte mich mit Noa ins warme Gras. Wir beobachteten die Sonne, die langsam unterging.
*
Tel Aviv, das heißt auf Deutsch: Frühlingshügel. 1909 gaben jüdische Einwanderer ihrer kleinen Siedlung in den Sanddünen am Mittelmeer diesen Namen.
In den Jahren nach 1933 suchten viele europäische Juden in Palästina Zuflucht. Sie wollten ein Land für sich, weil man sie in anderen Ländern ermorden wollte.
Die erste Gruppe der Flüchtlinge emigrierte noch rechtzeitig aus Deutschland und den von den deutschen Truppen besetzten Gebieten.
Andere entkamen den Nationalsozialisten nicht. Sie reisten nach Kriegsende aus Lagern wie Płaszów nach Palästina, versehrt an Körper und Seele.
In der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem betrachten die Besucher heute in den dunkel gehaltenen Ausstellungsräumen die Zeugnisse der nationalsozialistischen Verbrechen. Sie sehen auch ein Foto des KZ -Kommandanten Amon Göth, der in SS -Uniform auf seinem Schimmel reitet. Sie erblicken die Bilder weiterer Kommandanten und Konzentrationslager, sie begreifen das Ausmaß der Vernichtung. Dann führt der Ausgang leicht bergauf ins sonnenbeschienene Israel. Die Botschaft von Yad Vashem: Der Holocaust und Israel verhalten sich zueinander wie Dunkel und Hell. Das neue Land als Aufbruch ins Licht.
Am 14 . Mai 1948 rief der Zionisten-Führer David Ben-Gurion in Tel Aviv den Staat Israel aus. Vor Freude tanzten die Juden auf dem Dizengoff-Boulevard der Stadt.
Mit der Gründung Israels wurde der Traum der Zionisten von einem eigenen jüdischen Staat zwar Wirklichkeit. Doch der zionistische Mythos, der «ein Land ohne Volk für ein Volk ohne Land» proklamierte, entsprach nicht der Realität: Das den Juden heilige Land war von arabischen Palästinensern bewohnt.
Zwei Völker verbanden ihre nationale Identität mit demselben Land.
Was für die Israelis die Gründung ihres Staates war, hieß für die Palästinenser «Nakba», die Katastrophe.
Schon in der Nacht des 14 . Mai 1948 rückten die Truppen der fünf arabischen Staaten Ägypten, Irak, Transjordanien, Libanon und Syrien in Israel ein, mit dem erklärten Ziel, den neuen Staat wieder zu zerstören. Die Israelis siegten in diesem ersten arabisch-israelischen Krieg und vergrößerten ihr Territorium erheblich; sie behielten mehr Land, als ihnen der Teilungsplan der Vereinten Nationen zugesprochen hatte. Rund 700 000 Palästinenser flüchteten oder wurden vertrieben, viele palästinensische Dörfer wurden zerstört.
Dem ersten Krieg direkt nach der Staatsgründung folgten weitere militärische Auseinandersetzungen mit den arabischen Nachbarn.
Die Geschichte des Staates Israel und die mit ihm unlösbar verknüpfte Geschichte der arabischen Palästinenser, sie ist eine Abfolge von Kriegen und Attentaten, von Gewalt und Gegengewalt, sie lässt sich kaum objektiv und schon gar nicht in wenigen Zeilen erzählen.
Der Nahost-Konflikt erscheint auch deshalb so unlösbar, weil sich in ihm viele Konflikte bündeln. Es geht eben nicht nur um Land. Der israelische Historiker Tom Segev schreibt: «Nicht nur politische, strategische und wirtschaftliche Interessen schüren die Auseinandersetzung, sondern auch Angst und Eifersucht, Glaube und Vorurteile, Mythen und Illusionen.»
Längst überlagert religiöser Fanatismus, angefacht von islamischen Fundamentalisten und jüdischen Ultraorthodoxen, jede Diskussion in den beteiligten Ländern.
Israel, das kleine Land am Mittelmeer mit heute acht Millionen Einwohnern, kommt nicht zur Ruhe: Nach außen kämpft der jüdische Staat gegen die arabischen Nachbarn. Nach innen mit sich selbst. Es herrscht kein Frieden zwischen Israelis und Palästinensern – aber auch kein Frieden zwischen strenggläubigen und weltlichen Israelis.
Orthodoxe, streng religiöse Juden und moderne, liberale Einwohner des Landes führen einen erbitterten Streit um Deutungshoheit in vielen politischen Fragen: Welche Rolle spielt die Religion im Staat? Wie soll man mit den Palästinensern umgehen? Sollen die ultraorthodoxen Siedler sich aus den besetzten Gebieten
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