Amore macchiato: Roman (German Edition)
Sekretärin ist eines der vielen unkündbaren Urgesteine des Unternehmens. »Tut mir leid«, fügt sie resolut hinzu.
Nichts tut ihr leid, dieser blöden Ziege.
Ich atme tief durch und wünsche mir in diesem Moment sehnsüchtig den so einfach aussehenden Job des Kellners, der gerade in weißer Livree zwischen den Frühstückstischen der wunderschönen Hotelterrasse mit Blick auf die Bucht hin und her eilt.
»Es ist aber dringend, Frau Weißensee«, versuche ich es erneut und blättere durch die Formularvordrucke, die man mir gestern in Arzachena mitgegeben hat.
» Dringend«, lacht Frau Weißensee künstlich. »Soll ich vielleicht das Vorstandsmeeting , in dem Herr Bräunlich zugegen ist, unterbrechen und ihm erklären, eine seiner Mitarbeite rinnen sei dringender?«
Mitarbeiter innen spricht sie aus, als sei die Rolle der Frau bei GID ungefähr die einer vermummten Afghanin an der heimischen Feuerstelle. Mich wundert das, da sie selbst eine Frau ist. Oder zumindest ein Rest davon. Aber ohne diese Einstellung kann man vermutlich keine vierzig Jahre lang als Sekretärin arbeiten, denke ich mir.
»Checkt Herr Bräunlich vielleicht in den Kaffeepausen seine Mails?«, will ich wissen.
Eine verpatzte Neuwagenpräsentation im siebenstelligen Bereich sollte ihm durchaus dringend erscheinen. Vielleicht sollte ich ihm einfach schreiben, was passiert ist?
»Er hat sein Schmartfon dabei«, lautet die knappe Antwort.
Ach so.
Das bedeutet in GID-Sprache: Mein Chef liest nicht nur in den Pausen seine Post, sondern fummelt die ganze Sitzung über an seinem Handy herum, wie ein kleiner Junge beim Nintendo-Spielen im Matheunterricht.
Damit wird er nicht alleine dastehen. Während wichtiger Konferenzen E-Mails zu lesen und gegebenenfalls sogar zu beantworten, stellt in unserem Hause keinen Widerspruch dar. Im Gegenteil, Multitasking wird vorausgesetzt, und wer das nicht kann – was ich von einem Großteil meiner Kollegen vermute –, der tut zumindest so. So dient beispielsweise die Teilnahme an einem Meeting eher der Selbstdarstellung, als echte Arbeit an der Sache zu sein. Daher fällt es auch nicht weiter auf, wenn jemand eine gesamte Konferenz lang wichtig geguckt hat, dass er unter dem Tisch mit seinem Telefon hantiert.
»Gut«, sage ich daher zu Frau Weißensee, »dann weiß ich Bescheid. Falls Sie Herrn Bräunlich sehen, richten Sie ihm doch bitte aus, dass ich ihn in einer extrem wichtigen Angelegenheit sprechen muss.«
» Falls ich ihn spreche, sage ich ihm das. Auf Wiederhören«, betont Frau Weißensee gewohnt unkollegial und legt auf.
Danke auch.
Ich bin von allen verlassen.
Nur ich und mein neues Klappmesser. Und Paula, die heute Vormittag in Olbia landen wird.
Ich schaue auf die Uhr. In einer Stunde muss ich mit Enzo losfahren, um sie abzuholen. Damit bleibt mir noch etwas Zeit, um die ersten Genehmigungsanträge zu sichten und vielleicht schon mal mit den Basisdaten auszufüllen. Außerdem eine gute Gelegenheit für einen zweiten Espresso. Und ein cornetto dazu.
Paula hat ganz offensichtlich das gleiche elitäre Sardinien-Verständnis wie ich noch vor zwei Tagen, bevor ich auf dem Boden der Tatsachen gelandet bin. Bekleidet mit einem eleganten Strohhut, einem engen weißen Leinenkleid und Riemchensandaletten mit hohem Absatz stöckelt sie aus dem Terminal. Ich bezweifle, dass sie in ihrem silbernen Hartschalenkoffer auf vier Rädern ein paar robuste Schuhe für die Arbeit in der Prärie bereithält. In dieser Hinsicht bin ich ihr mittlerweile überlegen. Gummistiefel habe ich nun. Dafür allerdings ein Paar Riemchensandalen weniger.
»Hi«, begrüßt sie mich hoffnungsvoll, als sie vor mir steht. »Na, wie sieht’s aus?«
»Schlecht«, gebe ich zurück. »Und bei dir?«
»Ich habe heute Nacht praktisch nicht geschlafen«, informiert mich Paula.
»Oh, da bin ich ja sogar besser dran als du, ich konnte beide Augen zumachen. Gibt’s schon was Neues von deinem Chef?«, wechsele ich das Thema.
»Noch nicht. Stefan hat gestern spontan einen Flieger nach Livorno genommen, um mit dem Geschäftsführer unserer Partneragentur direkt vor Ort zu sprechen«, informiert mich Paula über die Aktion ihres Vorgesetzten.
»Ich verstehe. Wenn Großkopferte etwas zu besprechen haben, jetten sie schnell zueinander, um die Telefonkosten nicht unnütz in die Höhe zu treiben«, lästere ich. »GID zahlt der Agentur schließlich alle Spesen, und die gesammelten Meilen gehen aufs Konto für den nächsten
Weitere Kostenlose Bücher