Amore siciliano
rührte. Paolos Mundwinkel zuckten leicht. Dann würde ich mich eben anders behilflich machen: »Ich kann ja die Steine abladen – wo sollen die hin?«
Paolo zeigte auf eine Stelle in der Stallmauer, durch die ein Riss ging. »Leg sie einfach davor, ich muss den Spalt ausbessern.«
Na dann: Ran an die Arbeit, Alex!, dachte ich und nahm zunächst meinen dünnen Sommerschal ab und wickelte ihn um mein aufgerissenes Hosenbein. Dann begannen wir schweigend abzuladen. Nach fünf Minuten hatte Paolo die Getreidesäcke in den Stall gebracht und ich mir zwei Nägel beim Steineschleppen abgebrochen. Er holte eine Schubkarre, in die wir die restlichen Steine warfen, dann schob er sie über den schmalen Weg hinüber zum Stall und kippte sie dort aus. Nach drei Schubkarrenladungen war auch das erledigt.
Nun war ich durchgeschwitzt und aus der Puste, und Paolo kam nicht umhin, mir zum Dank für die Hilfe ein Glas Wasser auszugeben. Leider brachte er es mir heraus, so dass ich immer noch keinen Blick in sein Haus werfen konnte.
Anschließend zeigte er mir noch seinen großen Geflügelstall, dann begleitete er mich durch Gemüse- und Obstgärten in den Olivenhain. »Strada privata« deutete ein weiteres Schild zu Beginn eines kleinen Feldweges das Nichtwillkommensein von Fremden auf Paolos Hof an.
»Warum hast du eigentlich so viele Verbotsschilder aufgehängt?«, fragte ich.
»Per i ficcanaso. Wegen der Schnüffler«, antwortete Paolo und biss sich im selben Moment auf die Lippen. »Ich meine neugierige Touristen und Ausflügler wie dich zum Beispiel«, fügte er mit einem Augenzwinkern hinzu.
»Es tut mir wirklich leid«, meinte ich. »Ich habe wirklich nur nach einer Abkürzung gesucht.«
»Va bene. Schon gut«, meinte Paolo. »Vielleicht mache ich auf dich keinen besonders gastfreundlichen Eindruck, aber man muss aufpassen, dass niemand den Tieren etwas tut, sie mit nicht biogerechten Sachen füttert oder die Beete zertrampelt. Manche Touristen reißen Zweige von blühenden Olivenbäumen oder lassen ihren Müll liegen. Deshalb hat mein Vater die Schilder schon vor Jahrzehnten aufgehängt, als die ersten Fremden hierherkamen. Das mit der Kinderhandschrift hab ich damals geschrieben, da war ich noch klein. Und weil mich die Schilder an meinen Vater erinnern und ich wie er nicht gern ungeladene Gäste habe, habe ich sie einfach nie abgenommen.«
»Okay, das kann ich verstehen. Aber ich bin doch jetzt nicht mehr fremd, oder?«, fragte ich.
Paolo grinste. »No, sarai tollerata! Du gehörst nun zum Kreis der Tolerierten.«
Das war wohl alles, was ich im Moment erwarten konnte. Paolo tolerierte mich.
»Wird dein Hof eigentlich oft überprüft, oder musst du regelmäßig Nachweise erbringen, dass du nach ökologischen Kriterien anbaust, oder wie läuft das hier?«, nahm ich das Frage-Antwort-Spiel unserer ersten Begegnung wieder auf.
»Controllato? Was meinst du damit?«
»Na ja, es muss doch jemand prüfen, ob die Biohöfe auch tatsächlich Biolandbau betreiben, sonst dürfen die sich doch gar nicht so nennen.«
»Was ist denn in deinen Augen Bio- oder Ökolandbau?«, fragte Paolo. »Ich meine, welche Kriterien legt ihr in Deutschland zugrunde?«
»Oh, da gibt es ganz eindeutige Richtlinien!« Die Frage stellte er genau der Richtigen. »Das Wichtigste ist, dass der Bioanbau komplett auf Gentechnik verzichtet«, begann ich die Auflistung. »Außerdem werden beim Anbau und der Verarbeitung der Lebensmittel wesentlich weniger Zusatzstoffe verwendet. Chemische Pflanzenschutzmittel sind tabu ebenso wie Stickstoffdünger. Wichtig sind die artgerechte Tierhaltung, der Schutz von Boden, Wasser und Luft und der schonende Umgang mit Rohstoffen und Energie. Durch Ökolandwirtschaft wird die Artenvielfalt gewahrt. Außerdem ist der Anbau transparent und kontrolliert«, schloss ich meine Definition. Ich hatte fast alle Vokabeln verwendet, die ich mir für die Interviews zum Thema Biolandwirtschaft eingeprägt hatte, und war begeistert von meinem Erinnerungsvermögen.
Paolo grinste.
»Was?«, fragte ich.
»Divertente. Ich finde das amüsant.«
»Was findest du amüsant?«
»Voi tedeschi! Du bist so herrlich deutsch. Jemand sagt dir, dass etwas kontrolliert oder zertifiziert ist, und du glaubst daran. Das würde hier in Italien niemals funktionieren.Die Menschen hier glauben an Gott, an die Familie und an diverse Wunder, aber keiner würde an staatliche Anbaukontrollen glauben und an Gesetze, durch die man CO2-Kontingente
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