Amors Glücksfall (German Edition)
Statt mich erneut über die Kloschüssel zu hängen, steuere ich jetzt allerdings das Waschbecken an. Ich heiße Mark Hübner, bin dreißig Jahre alt, 1,85 Meter groß und wiege 78 Kilogramm. Ich drehe das Wasser auf und stecke meinen Kopf in die nasse Kälte. Wie gut das tut! Sofort fallen die letzten Minuten von mir ab und ich fühle mich wieder gut. Das Wasser klärt meine Gedanken. Ich richte mich auf, atme durch, mache die Augen auf und trete einen Schritt zurück.
„Lorenzo?“, stammle ich, mache das Licht aus, atmete durch und versuche mich zu konzentrieren: „Ich dachte, alles ist wieder gut?“ Ich mache das Licht an und starre nach vorne: „Was soll der Mist!?“ Das Bild, das mich vorhin so irritiert hat, verschwindet nicht. Es ist noch immer das gleiche Gesicht, das ich auch vor dem Gang in die Küche schon im Spiegel gesehen hatte. Und es ist ganz sicher nicht meins. Es gehört meinem schwulen Site-Administrator, dem mit der Glatze. In diesem Moment klingelt es wieder. Diesmal allerdings an der Tür.
2 Die zweite Chance
„Hallo Lorenzo“, lächelt sie aus ihrem dunkelroten Kussmund und tritt ein. Benebelt bleibe ich stehen, nachdem ich durch den Flur an die Tür gekommen bin und starre ihr nach, während sie an mir vorbeigeht. Sie sieht so umwerfend aus wie in meiner Erinnerung. Ich wundere mich nur darüber, dass ich sie überhaupt nicht heiß finde. Sie hat etwas Mädchenhaftes, das mir gestern nicht aufgefallen ist. Ein bisschen wie eine Elfe sieht sie aus. Und Elfen finde ich generell nicht heiß.
„Mein Name ist Mark“, korrigiere ich sie. Sie dreht eine Runde in der Wohnung und kommt dann aus dem Schlafzimmer direkt auf mich zu. Ich will sie fragen, wo meine Klamotten sind. Ich will mich anziehen und gehen, bevor ihr schwuler Freund hier aufkreuzt. Meine Hoffnung ist schlagartig so stark, dass sie die Irritation wegen des verkehrten Spiegelbilds völlig verdrängt.
„Ich weiß, Schätzchen!“, sagt sie. Dass sie mich „Schätzchen“ nennt, ist unglaublich. Es ist erniedrigend, es ist abfällig und es ist – ich wage es kaum zu denken – machohaft. Ich will ihr das sofort sagen, aber etwas hindert mich daran zu fluchen. Wieder lächelt sie, nur dass es mir jetzt auch noch kalt wird. Ich sehe an mir herunter. Außer fremden Boxershorts habe ich nichts an. Und diese Boxershorts kann ich leider nur erahnen, weil mir ein riesiger, runder Bauch die Sicht nach unten fast gänzlich versperrt. Außerdem ist meine Sicht noch durch etwas anderes völlig verändert. Dieser bauchige Körper hier ist keinesfalls bloß 1,85 Meter groß. Ich glaube, ich reiche jetzt mit dem Kopf fast bis zur Decke.
Im Moment kann ich mich gar nicht entscheiden, über was ich zuerst nachdenken muss. Warum sie mich Lorenzo nennt, obwohl sie weiß, dass ich Mark heiße, was ich in dieser Wohnung verloren habe oder warum ich in einer fremden Unterhose stecke? Das alles will ich wissen und zudem: Warum ich einen Kugelbauch habe, obwohl ich seit über zehn Jahren fünf Mal die Woche im Fitnessstudio trainiere. Unglücklicherweise hämmert mein Kopf allerdings mittlerweile dermaßen stark, dass ich mich auf keine einzige der Fragen konzentrieren kann.
„Was soll das hier?“, frage ich daher zusammenfassend und dann etwas gequälter: „Und wer bist du überhaupt?“
Meine Besucherin lächelt so milde, dass ich mir vorkomme , als sei ich unzurechnungsfähig. „Bin ich wahrscheinlich auch“, denke ich und folge ihr ins Wohnzimmer.
„Hier“, sagt sie mit einer Engelsstimme und reicht mir ein gerahmtes Bild. „Das hilft dir bestimmt auf die Sprünge!“ Ich muss nicht genau hinsehen, weil ich das Gesicht kenne. Nicht nur weil es mir vorhin aus dem Badezimmerspiegel entgegen glotzte. Ich kenne ihn persönlich. Es ist der gleiche Mann, der in meiner Firma als Administrator für das Single-Forum arbeitet. Er ist für die Kundenbetreuung bei den Benutzern zwischen „A“ und „D“ zuständig und wir alle nennen ihn „Amor“, weil er die meisten Treffer bei seinen Kunden hat. „Was soll das?“, frage ich wieder, diesmal aber etwas dringlicher. Sie schweigt. Ich lasse sie stehen, gehe ins Bad und sehe mir das Gesicht noch einmal an. Diesmal hoffe ich auf eine anständige Antwort. An den Eckdaten meines Problems hat sich noch immer nichts verändert. Also kann ich eine anständige Antwort jetzt wirklich brauchen.
„Ich denke, wir haben einen Deal?“, höre ich sie hinter mir. Mit einer
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