Amy on the summer road
hörte ich ihn reden.
»Hallo, Hadley«, sagte er, »ich bin’s wieder.« Ich sah mich um und überlegte, was ich tun sollte. Meinen iPod anschalten? Natürlich war mir klar, dass ich ihn nicht belauschen durfte, aber andererseits interessierte es mich schon. Aber noch ehe ich mich entscheiden konnte, sprach Roger weiter. Er klang irgendwie nervös.
»Wahrscheinlich bist du gar nicht da. Oder vielleicht schläfst du gerade. Bei euch ist es bestimmt schon ziemlich spät. Oder eher früh. Also tut mir leid, wenn ich dich geweckt habe ...« Er machte eine kurze Pause. »Ich bin hier in Kalifornien in den Bergen. Die Sterne sind toll hier. Wär schön, wenn du sie sehen könntest. Ich bin ...« Er brach ab. »Ich kapier einfach nicht, was los ist, Had. Und warum du dich nicht meldest. Das passt irgendwie gar nicht zu dir. Also ich ... ich weiß auch nicht. Na egal, ruf mich einfach an, wenn du das hörst, ja?«
Ich wartete darauf, dass er Tschüss sagte, aber nichts passierte. Da ich annahm, dass er gleich wieder reinkommen würde, legte ich mich wieder hin, machte die Augen zu und tat so, als würde ich schlafen. Dann würde er gar nicht auf die Idee kommen, dass ich gelauscht hatte.
Als ich das nächste Mal die Augen öffnete, war draußen schon heller Tag. Auch die Vögel waren schon alle wach und zwitscherten oder krakeelten herum. Ich sah auf meine Uhr, es war acht. Dann schaute ich zu Roger hinüber, dessen Kopf nur eine Handbreit von meinem entfernt lag. Er schlief tief und fest, die Decke war ihm von der Schulter gerutscht. Ich
betrachtete ihn ein Weilchen, in der Hoffnung, dass das nicht zu aufdringlich war, denn ich wollte ja nur wissen, wie es aussah, wenn jemand total friedlich und unbefangen schlummerte. Dann wandte ich meinen Blick wieder ab, kletterte aus dem Bett und streckte mich. Zum ersten Mal seit Monaten hatte ich einigermaßen gut geschlafen.
You’ll be missed, Miss California
– Jack’s Mannequin
Nachdem Roger aufgewacht war, schlenderten wir gemeinsam zur Lodge. Das Gebäude hatte mir schon immer gut gefallen. Es war ein Steinhaus mit einem riesigen Kamin, um den sich immer eine Menge Leute scharten. Dieser Raum mit Holztäfelung und einem ständig lodernden Feuer schrie selbst im Juli danach, es sich – mit einer heißen Schokolade – dort gemütlich zu machen. An den Wänden hingen Fotos von meinen Vorfahren, die sich vor über hundert Jahren in Yosemite niedergelassen und ein Lager errichtet hatten, um damit Geld zu verdienen. Irgendwann war es dann in den Nationalpark integriert worden. Meine Vorfahren kümmerten sich hauptsächlich um den sogenannten »Firefall«, eine Vorführung, bei der nachts Feuer durch eine in den Berg geschlagene Rinne ins Tal geschickt wurde. Diese sommerliche Showeinlage wurde in den Sechzigerjahren allerdings eingestellt, weil es geradezu an ein Wunder grenzte, dass dabei noch niemand zu Schaden gekommen war. Nachdem ich Roger einen kurzen Einblick in meine Familiengeschichte gegeben hatte, gingen wir frühstücken.
Oder genauer gesagt, ich frühstückte, während Roger sich ein derart opulentes Mahl genehmigte, wie es normalerweise nur Leute mit Bandwurm verkraften. Zum Glück war es ein
Buffet mit Selbstbedienung, wobei ich allerdings das Gefühl hatte, dass man dieses Konzept nach unserem Besuch wohl überdenken würde. Als Roger zum dritten Mal mit einem randvollen Teller ankam – diesmal mit riesigen Fleischbergen -, beäugte er skeptisch den meinigen und erkundigte sich: »Ist das alles, was du zum Frühstück isst?«
»So ist es«, antwortete ich und trank einen Schluck Orangensaft. Ich hatte schon Haferflocken, zwei Muffins und eine Banane gegessen, was ich mehr als genug fand. »Ich bin total satt.«
Roger schüttelte den Kopf. »Du brauchst ordentlich Kohlenhydrate«, ermahnte er mich. Dann ließ er sich auf seinen Stuhl fallen, nahm den Yosemite Guide zur Hand, den wir beim Hineingehen mitgenommen hatten, und begann darin zu lesen, während er sich ein Würstchen schmecken ließ. »Heute steht eine Menge auf dem Programm – Bergsteigen, kleinere Wandertouren, irgendwas namens Badger Pass – dafür wirst du Energie brauchen.«
Er reichte mir den Flyer, und ich tat so, als würde ich ihn lesen, während ich ihn über den Rand hinweg beobachtete. »Und – wie hast du geschlafen?«, erkundigte ich mich so beiläufig wie möglich.
»Super«, antwortete Roger, aber mir blieb nicht verborgen, dass er sich sehr auf seinen
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