Amy on the summer road
Schinkenspeck konzentrierte. »Ich bin sofort weggepennt. Und du?«
»Auch gut«, sagte ich locker. Ich sah zu ihm hinüber und begriff, dass Roger offenbar abgründiger war, als ich zunächst angenommen hatte. Außerdem wurde klar, dass hier nicht nur ich nicht ganz aufrichtig war.
»Hallo, hier ist Amy. Hinterlasst eine Nachricht, ich rufe dann zurück. Danke!«
Piep.
»Hallo, Amy, hier ist deine Mutter. Wir spielen offenbar Telefonfangen. Schön, dass ihr in New Mexico angekommen seid; inzwischen seid ihr ja hoffentlich schon unterwegs nach Oklahoma. Ich habe im Holiday Inn in Gallup angerufen, und mich erkundigt, ob ihr eingecheckt habt, aber sie konnten das leider nicht bestätigen. Aber die Dame an der Rezeption hatte offensichtlich nicht so ganz den Überblick. Also, ruf mich mal zurück, damit ich weiß, dass alles nach Plan läuft.«
»Hier ist es wirklich fantastisch«, schwärmte Roger, streckte die Beine von sich und schaute sich um. Wir saßen im Innenhof der Curry-Lodge und bestaunten die Landschaft: die riesigen Kiefern, die atemberaubenden Berge, das zwischen den Bäumen hindurchfallende Sonnenlicht. Wir hatten die Hütte schon geräumt und unsere Sachen ins Auto gepackt, wir waren ja dicht genug dran, um mitzukriegen, wenn ein paar hungrige Bären vorbeispaziert kamen. Roger streckte die Hand aus, damit die Sonne ihn nicht so blendete, und stand auf. »Hier besteht Sonnenbrillenbedarf«, bemerkte er und holte den Autoschlüssel aus der Hosentasche. Mit einem Blick zu mir herunter fragte er: »Soll ich deine gleich mitbringen?«
»Nö, geht schon«, entgegnete ich, fand das dann aber selber wenig überzeugend, weil ich gleichzeitig die ganze Zeit gegen die Sonne blinzeln musste.
»Sicher?«
»Na ja«, wich ich aus und versuchte dabei, nicht zu blinzeln, was allerdings ein Ding der Unmöglichkeit war: »Ich hab gar keine mit.«
»Im Souvenirladen gab es welche«, sagte Roger. Ich hatte sie auch gesehen – vor allem diese verspiegelten Sportbrillen, auf die wahrscheinlich Bergsteiger stehen. Aber ich wollte gar keine Sonnenbrille.
»Ist schon okay so«, erklärte ich nachdrücklich. Roger sah mich ratlos an, zuckte dann die Schultern und ging zum Auto.
Ich schloss die Augen und legte den Kopf in den Nacken. Es fühlte sich gut an, denn schon lange hatte ich die Sonne nicht mehr in meinem Gesicht gespürt.
»Amy?«
Ich machte die Augen wieder auf und sah eine ältere Frau vor mir, die mich interessiert musterte. Sie stand so im Gegenlicht, dass ich sie kaum erkennen konnte. Also stand ich auf, um sie genauer anzusehen. Sie trug Wanderklamotten und hatte sich eine Regenjacke um die Hüfte gebunden. Ihre lockigen grauen Haare waren kurz geschnitten. Nachdem ich sie eine Weile angestarrt hatte, machte es in meinem Hirn plötzlich klick. Es war Cathy ... Dingsda. Zufällig hatte sie mit ihrem Mann jahrelang die gleichen Urlaubspläne gehabt wie wir. Immer wenn wir hier waren, haben wir sie getroffen und saßen dann meistens zusammen im Speiseraum. Einmal haben sie uns sogar eine Weihnachtskarte geschrieben. Frohes Fest von Familie Dingsda.
»Hallo«, sagte ich und versuchte, nicht durchblicken zu lassen, dass ich sie nicht auf Anhieb zuordnen konnte. »Cathy«,
fügte ich hinzu – in der Hoffnung, dass ich mit dem Namen richtiglag. Trotzdem hob ich sicherheitshalber bei der letzten Silbe die Stimme ein bisschen, falls ich doch falsch getippt hatte.
»Du bist es wirklich«, jubelte sie, streckte ihre Arme aus und fiel mir ohne Vorwarnung um den Hals. »Dich würde ich überall erkennen. Na, du bist ja gewachsen! Eine richtig hübsche junge Dame bist du geworden!«
Warum mussten ältere Leute nur dauernd solches Zeug labern? Dabei erzählen sie uns doch immerzu, dass man nicht lügen soll. Ich nickte einfach nur – was hätte ich auch sagen sollen?
»Wo sind denn die anderen von euch?«, erkundigte sich Cathy und sah sich um. »Dein Bruder und dein Vater? Sind sie noch drin?«
Ich merkte, wie mein Herz zu rasen begann und Panik in mir aufstieg, wie es immer dann passierte, wenn ich jemandem davon erzählen musste. Ich musste es noch nicht mal laut aussprechen, was ich sowieso nicht schaffen würde. Schon allein der Gedanke an diese Worte war absolut unerträglich.
»Oh«, sagte ich und merkte, wie angespannt meine Stimme klang, wie zugeschnürt mein Hals sich anfühlte und wie ich deshalb jedes Wort hervorpressen musste. Ich ärgerte mich über mich und darüber, dass ich keinen
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