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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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Inneres. Schreien konnte er nicht; noch war er zu benommen. Er wollte auch nicht. Nicht noch diese Blöße. So fest biss er die Zähne aufeinander, dass er meinte, sie müssten splittern. Was ihm in die Nase stach, war der Gestank seines eigenen brennenden Fleisches.
    Der Druck lockerte sich. Der Mann hob einen Stiefel über ihn hinweg und trat zu Ramon, der wieder das Eisen übernahm.
    «Passt sein Augenlicht dem seines Bruders an. Ich warte solange draußen.»
    Arturo hörte ihn hinausstapfen. Hart sog er den Atem ein, als sich Ramon mit seinem ganzen Gewicht auf ihm niederließ. Er verschloss die Augen vor der sich nähernden Spitze. Irgendwo fluchte Ángel, doch er verstand ihn nicht. Seine pelzigen Finger ertasteten einen scharfkantigen Gegenstand – eine der Scherben des Kruges, den Luiz auf seinem Kopf zerschlagen hatte. Er mühte sich, sie zu ergreifen und so zu platzieren, dass er die Fessel daran reiben konnte. Sie entglitt seinen tauben Fingern.
    «Sieht aus, als sei er nicht mehr ganz bei Sinnen. Das ist schade, macht die Sache allerdings einfacher.»
    «Der Schmerz wird ihn schon aufwecken.»
    «Halt ihn gut fest, Luiz. Nichts zu sagen, Ángel?»
    Ángel gab keinen Laut von sich.
    Vor Arturos Lidern wurde es beängstigend hell. Er konnte nicht mehr atmen; Luiz drohte ihn zu ersticken, bevor er sein Augenlicht verlor. So viele Menschen habe ich in meinem Leben sterben sehen , ging es ihm durch den Kopf. Bin ich jetzt an der Reihe? Die Helligkeit pulsierte im Takt seines schnellen Herzschlags. Verdammt, so schwach war er doch sonst nicht. Es sind nur zwei Männer … zwei Männer  … Er schrie, sog so viel Luft ein, wie er nur konnte, drehte den Kopf unter der Eisenspitze weg, die seine Wange streifte – diesen Schmerz nahm er kaum noch wahr. Mit aller verbliebenen Kraft warf er sich herum und schüttelte Ramon ab, der von ihm heruntersackte, sich jedoch sofort wieder auf ihn zu werfen versuchte. Das war dein Fehler . Mit dem Oberkörper schnellte Arturo hoch. Das Gesicht Ramons – bärtig, mit einem Höcker auf der Nase – schwebte für den Bruchteil eines Lidschlags dicht vor seinem.
    Er biss zu.
    Er wusste nicht, wo er ihn erwischte. Am Mund wohl; unter seinen Zähnen zerplatzten weiche Lippen. Ein Stück der Zunge. Oder die ganze. Er schluckte das Blut, schluckte den Schrei Ramons, der sich über ihm in dem vergeblichen Versuch wand, von ihm loszukommen. Luiz schlug auf ihn ein, doch auch das spürte er kaum. Auch nicht, dass sich der Zug um seinen Hals entspannte. Aber er sah den Grund dafür: Luiz rannte an ihm vorbei ins Freie.
    Jetzt hatte er alle Kraft, die er brauchte. Er spannte die Fessel, und sie riss. Er sah den Kakao hereinstürmen, sah den Pistolenlauf auf sich gerichtet. Nichts davon hielt ihn zurück. Ramon, den er von sich schob, war nur noch ein erbärmlich heulender Elendshaufen. Arturo bekam im Aufspringen das Eisen zu fassen, das er dem Kakao entgegenschleuderte. Der verschoss seine Kugel in den Erdboden. Beißender Geruch nach Pulverdampf breitete sich aus. Bevor de Villaverde den Offizierssäbel ziehen konnte, war Arturo bei ihm, riss die Waffe heraus und stieß sie ihm von unten nach oben in den Bauch.
    Jetzt, jetzt , während de Villaverde auf die Knie sackte und nach der Klinge griff, gestattete er sich einen Augenblick des Atemholens.
    «Bruder», sagte Ángel. «Das war erstaunlich.»
    Arturo zerrte die Klinge aus dem Sterbenden und Ángel auf die Füße. Die Zeit, ihm die Fessel durchzuschneiden, nahm er sich nicht. Nur die, einen letzten Blick auf den Leichnam der Mutter zu werfen. Er lief aus der Hütte, den Bruder vor sich herschiebend.
    Im Licht einer weiteren Laterne, die jemand fallen gelassen hatte, die aber nicht erloschen war, sah er Dutzende schwarzglänzender Leiber. Die Sklaven starrten ihn an. Ihn, nicht den blutigen Säbel in seiner Hand. Den Grund begriff er erst, als er sich mit dem Handrücken über den Mund wischte. Das verdammte Blut des verdammten Aufsehers, er hatte es geschluckt. Er spuckte aus, und die Männer wichen zurück. Mit Ángel im Arm wankte er durch die Gasse, die sie ihm bildeten. Dann zwang er den Bruder und sich zum Laufen. Der beginnende Regen klatschte ihm ins Gesicht. Krachende Blitze erhellten den Weg. Hinter sich hörte er weitere Aufseher, hörte sie brüllen und ihre Peitschen niederknallen. Er hörte auch ihre Angstschreie, als die Gier nach Leben und Freiheit in die erstarrten Elendsgestalten zurückkehrte.

8.

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