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An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition)

Titel: An den Ufern des goldenen Flusses (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Isabel Beto
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Meeres, ihre Kleider und Möbel und ihr Geburtstagsgeschenk der Familie, das Gemälde des berühmten englischen Landschaftsmalers … Da, dieser Beutel war es gewesen. Oder der andere?
    Hinter ihr knirschte der Sand unter schnellen Schritten. Es gelang ihr nicht einmal mehr, sich umzuwenden. Der Drachenherr riss sie an der Schulter herum. Das Moskitonetz fiel über sie. Er rollte sie über den Sand, sodass sie vor Furcht, in der Glut zu landen, aufschrie. Vergebens versuchte sie sich aus der Umschlingung des Netzes zu befreien.
    «Wenn du dich anstrengst, kannst du es zerreißen.» Im Dunkel der Nacht war seine Stimme rau. «Aber dann hast du nichts mehr, das dich vor den Mücken schützt.»
    Zitternd und schniefend blieb sie liegen. Sie richtete sich auf die unbequemste Nacht ihres Lebens ein.

4. Kapitel
    In der Nacht kam die Flut. Der Drachenherr befreite Janna aus ihrer misslichen Lage. Sie kauerte sich auf ihrem Platz am Bug zusammen, während er gemächlich das Boot lenkte. Es war schnell, denn die Flut kehrte die Strömung des Orinoco um. Wäre ihre Lage nicht so misslich gewesen, hätte Janna diese Fahrt durch das Meer der gespiegelten Sterne genießen können. Hinter seiner Silhouette am Heck begann sich der Himmel zu röten.
    Eine Hand an der Schot, kramte er einen weiteren Streifen Tasajo aus den Proviantbeuteln. Plötzlich flog etwas in Jannas Schoß. Ein Stück Schiffszwieback. Vermutlich hatte er den auch am Strand gefunden. Ihr Magen knurrte. Und eine Kalebasse, in der es verheißungsvoll gluckerte, hing in Griffweite an der Bordwand.
    «Iss und trink schon, Mädchen.»
    Wütend kratzte sie einen dicken Mückenstich am Handrücken auf. Dass ihre Zähne mit dem steinharten Zwieback nicht fertigwerden würden, war nicht das, was sie befürchtete. Mochte der Mann seine Notdurft halb verborgen hinter Büschen verrichten – sie hatte nicht die Absicht, das ebenfalls zu tun.
    «Wann werden wir ein Dorf erreichen?», fragte sie.
    «Gleich.»
    Oh. Gleich? Sie schickte ein Dankesgebet in den Himmel. Gleich würde sie Häuser sehen. Vielleicht auch nur Hütten. Solange sich dort nur Menschen aufhielten, die anders waren als dieses Raubein! Die Venezolaner galten ja gemeinhin als gastfreundlich und hilfsbereit. Vielleicht waren Gestrandete von der Seuten Deern dort! Aufgeregt drehte sich Janna, um die Nase in den Fahrtwind zu halten. Im Nacken spürte sie bereits die Tropensonne, und die Luft begann heiß und schwer zu werden. Silbern glitzerte das Wasser vor den grünen Ufern, über die sich büschelartige Wipfel riesiger Palmen erhoben. Vögel flatterten von ihren Schlafplätzen in die Kronen und machten sich an glänzenden tiefroten Früchten zu schaffen. Im vielstimmigen Lärmen der erwachenden Tierwelt waren sogar Töne zu vernehmen, die wie Kinderlachen klangen. Aber das waren ja tatsächlich Kinder! Drei, vier Einbäume kamen um eine Biegung gepaddelt. In jedem saß eine kleine nackte Gestalt.
    Sie scheuten sich nicht, nah heranzukommen. Eines der Kanus schrammte gegen den Bug der Piroge. Ein schwarzköpfiges Mädchen reckte eine Hand nach Janna.
    «Sie betteln», erklärte der Drachenherr auf seine knappe Art. Er schleuderte einen der lederartigen Fleischstreifen ins Wasser. Kreischend paddelten die Kleinen los, so, wie es die Enten auf der Alster taten, wenn man ein Brotstück hineinwarf. Verblüfft sah Janna zu, wie sie sich darum prügelten, wenngleich sie wohlgenährt aussahen. Dann richtete sie wieder den Blick nach vorne. Und erstarrte.
    « Das ist das Dorf?», krächzte sie.
    «Ja.»
    «Aber – aber das sind ja noch nicht einmal Hütten! Da sind Unterstände, sonst nichts!»
    Auf einer schwimmenden Plattform erhoben sich drei auf Pfählen errichtete Palmblattdächer. Das also waren jene Palafitos, von denen sie gelesen hatte. Darunter hockten vielleicht zwanzig Indios, kleine nackte Gestalten. Sie schnatterten miteinander wie die Flamingos, während sie mit den Fingern mehlige Pasten kneteten und die roten Palmfrüchte kleinhackten. In der einzigen Hängematte lag eine dicke Frau mit einem Säugling an der Brust. Zwei Männer plagten sich, aus einem Einbaum eine riesige Schildkröte zu hieven. Sie alle hoben neugierig die Köpfe.
    Dieser erbärmliche Ort konnte unmöglich gemeint sein. Doch als die Piroge mit geblähtem Segel auf die Palafitos zuhielt, wusste Janna, dass es keine Hoffnung gab. Sie sprang auf, raffte ihr ramponiertes Kleid und stakste über das Deck auf den Drachenherrn zu. Das

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