An diesem einen Punkt der Welt - Roman
Notdurft, Dreck, ein verblasstes Schild mit der Aufschrift: His luck ran out, yours is beginning. Das Ziel dieses Tages wäre die Gedenkstätte am Wounded Knee gewesen, diesem symbolischen Ort des Untergangs eines großen, stolzen Volkes.
Wieder ein Ort, den er nicht erreicht. Es ist bedeutungslos. Was bleibt, ist der Schmerz über ein Massaker, das nicht zu Ende ist und sich nur andere Formen sucht.
Bury my heart at Wounded Knee.
*
Die weitere Reiseroute des ungleichen Paares ließe sich auf einem Fahrtenschreiber nachvollziehen. Die Markierungspunkte sind die heiligen Stätten der Indianerstämme im Gebiet des nördlichen und mittleren Westens der USA: die Black Mountains, der Devils Tower, Custer’s Battlefield und das Medicine Wheel in den Big Horn Mountains. In Reiseführern, Dokumentationen und Romanen ist nachzulesen, welche Bedeutung und welchen Zauber diese Stätten einst hatten, wie systematisch sie von den Weißen erobert, vermessen und ausgebeutet wurden und heute von Horden von Touristen überschwemmt werden, die die Zeremonienplätze mit riesigen Parkplätzen, lauten Picknicks, in den Fels gemeißelten Präsidentenköpfen und ehrgeizigen Kletterrouten entehren. Tom fiel der Zahnarzt seines Dorfes ein, der nicht müde wurde, seinen Patienten davon zu erzählen, dass er auf dem Devils Tower eine Route mit dem Schwierigkeitsgrad 6 gemeistert habe. Auf diesem Urgesteinsmonolithen, der aus der Ebene des Belle Fourche Rivers aufragt und rundum mit Felsrippen verziert ist, die wie das Kleid einer Schutzmantelmadonna in reichen Falten zu Boden fließen und der zu einem weltweit berühmten Kletter-Eldorado geworden ist.
Tom überlegt, wie unmöglich Tyrannenmord ist, wenn der Tyrann das System selbst ist.
Er erzählt Aiyanna von seiner wissenschaftlichen Arbeit. Er wird sie fertig machen, wenn er nach Hause kommt, falls er je nach Hause kommen sollte oder wollte, aber wenn, dann wird er es tun, ja! Er hat sogar Freude bei dem Gedanken. Aiyanna ist eine gute Zuhörerin und stellt gute Fragen. Auch wenn sie nichts von Adolf Hitler weiß und kaum etwas von den beiden großen Kriegen, die von Europa aus die Welt überzogen, versteht sie, was er meint und was er will. Recht. Gerechtigkeit. Sie hat einen anderen Krieg zu bestehen.
Sie ist still geworden in den letzten Tagen.
Die Traurigkeit ist tiefer, sie lacht weniger.
Nachts klammert sie sich an ihn, er spürt ihr Zittern.
Philámayaye –
Es bedeutet so etwas wie danke . Oder du machst mich glücklich – aber mehr als das, schöner …
Jetzt liegen sie im hohen, weichen Gras an der stillen Rückseite des Mato Tipila, wie die Indianer den Devils Tower nennen. Hier hört man nichts vom Hämmern und Schlagen des Eisenzeugs der Kletterer. Ihre Körper nehmen die Wärme der Erde auf und tauschen ihre eigene. Unmerklich hat sich etwas verändert zwischen ihnen. In ihre Leidenschaft, in die wilde Kraft, die sie zueinander treibt und die nur Menschen ergreift, die nichts voneinander wissen, ist ein Echo von Sorgsamkeit gekommen, von Sorgen-Wollen für den anderen. Von Besorgnis auch. Sie tun sich kleine Liebesdienste, nebensächliche Aufmerksamkeiten. Schauen sich lange einfach an, bis das Lächeln kommt oder das neue Verlangen.
Die Dämmerung kommt jetzt früher. Tage sind vergangen und sie sind weit südlich gefahren. Die Nächte sind kühler in der Meereshöhe von über tausend Metern. Es könnten späte Septembernächte im Grillparzland sein. Lange brennt das Feuer. Wenn Aiyanna dort ist, wo er sie nicht erreichen kann, holt er seine Gitarre aus dem Chaos von Kleidern und Essgeschirr hervor und spielt für sie.
I’ve seen love go by my door
It’s never been so close before
Never been so easy and so slow
I been shooting in the dark too long
When something is not right it’s wrong
You’re gonna make me lonesome when you go
…
Flowers on the hillside, bloomin’ crazy
Crickets talkin’ back and force in rhyme
Blue river runnin’ slow and lazy
I could stay with you forever and never realize the time …
Ich habe die Liebe vorübergehen sehen, nie so leicht und langsam, die Grillen singen ihren Reim, ich könnte bei dir bleiben für immer und es gäbe keine Zeit … Aber jede Strophe endet mit diesem You’re gonna make me lonesome when you go , aber warum, fragt sich Tom im Stillen, wird die Frau im Lied gehen und ihn einsam zurücklassen? Ist es ihr freier Wille, ihr Schicksal? Er würde sie suchen, heißt es weiter, ja überall würde
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