An einem heißen Nachmittag im August
sinnlich. Wenn er nicht Tollivers Bruder gewesen wäre, hatte jener sich daran vielleicht hemmungslos ergötzt. Aber die familiäre Bindung zwischen den beiden Dämonen war stärker als ihre Instinkte. So hatte der Jungdämon sich zusammengerissen und einen Plan entwickelt, wie er dem Älteren helfen konnte. Selbstverständlich musste Tolliver heimlich vorgehen, denn Roderik hätte eine Einmischung in sein Leben niemals geduldet.
Tolliver materialisierte sich direkt auf dem Dorfplatz. Sofort erwuchsen aus den umstehenden, gepflegten Bäumen dornige Ranken, die sich um seine Arme, seine Beine und seinen Leib schlangen. Da er nicht gekommen war, um zu kämpfen, unterdrückte er seine Selbstverteidigungsreflexe und ließ sich fesseln. Ein Trupp bis zu den Zähnen bewaffneter Wachmänner stürmte heran. Der Anführer hielt ihm den Lauf seines Sturmgewehrs vor die Brust.
"Was willst du hier, Dämon?", fragte er scharf mit einer Stimme, die so gar nicht zu seiner zarten Schönheit passen wollte.
"Ich will eurem König nur einen kleinen Besuch abstatten."
"Was sollte unser König mit einem dreckigen Dämon zu schaffen haben?", schnauzte der Elf.
"Sag ihm, dass Tolliver ihn gerne sprechen möchte, und du wirst ja sehen, ob er mich empfängt."
Mittlerweile waren die meisten Dorfbewohner aus ihren Häusern gekommen und bestaunten den Dämon, der es gewagt hatte, mitten in ihre Siedlung hineinzuspazieren. Einige Kinder hoben Steine auf und bewarfen ihn damit. Bevor ihn die Geschosse treffen konnten, pulverisierte er sie jedoch mittels seiner dämonischen Kräfte.
Einer der Wachmänner hielt ihm eine Pistole an die Schläfe und zischte:
"Hör auf mit deinen Tricks oder willst du, dass ich dein Gehirn durchsiebe?"
Das wollte Tolliver gewiss nicht. Wer wusste, mit welchem Zauber die Kugeln aus der Waffe belegt waren, so dass sie auch Dämonen gefährlich werden konnten.
"Ich bin ganz friedlich, von mir geht keine Gefahr aus. Ich will nur mit König Leto sprechen. Meldet mich bei ihm an!"
Es schien nicht so, als sei einer von den umstehenden Elfen gewillt, diese Forderung zu erfüllen, doch bevor der Dämon sein Anliegen bekräftigen konnte, teilte sich die Menge. Der König, begleitet von seinem Hofstaat, trat zu dem Gefangenen.
"Tolliver?"
"Ich muss dich in einer dringenden Angelegenheit sprechen, Leto", drängte der Dämon.
Der König hob zweifelnd eine seiner schön geschwungenen Brauen. Es schien eine Ewigkeit zu vergehen, bevor er sagte: "Lasst ihn frei!"
Die Ranken lösten sich und verschwanden. Der Anführer der Wache hieb Tolliver seinen Gewehrkolben in die Kniekehlen, so dass der Dämon vor dem König auf die Knie fiel.
"Erweise dem König Respekt!", schnauzte der Wachmann.
Tollivers Augen glühten rot auf. Zorn fegte durch seine Adern. Er sah hoch in das fein geschnittene Gesicht des Elfenkönigs, dessen sinnlicher Mund zu einem spöttischen Lächeln verzogen war. Widerwillig küsste Tolliver die schmale, weiße Hand des Königs. Als seine Lippen die Seidenhaut berührten, verlor sich sofort seine Aggressivität. Der Dämon saugte gierig den Duft des Königs ein. Dann hob er den Kopf wieder und blickte Leto ins Gesicht. Mit Genugtuung stellte Tolliver fest, dass diese kleine Berührung auch den Elfenkönig nicht unberührt gelassen hatte. Begehren funkelte in dessen Augen. Oh ja, sie war noch immer da, die sexuelle Anziehungskraft zwischen dem jungen Dämon und dem sehr viel älteren Elfenkönig, der schon so lange lebte, dass seine langen Haare mittlerweile silbern waren, obwohl die unsterblichen Elfen eigentlich nicht alterten.
Tolliver wurde von den Wachen in die mit Efeu umrankte Villa geführt, die dem König als Wohn- und Regierungssitz diente. Leto empfing seinen überraschenden Gast in einem kostbar eingerichteten Wohnraum. Scheinbar war es kein offizielles Empfangszimmer, schien aber auch nicht zu den Privatgemächern zu zählen.
Immerhin, dachte Tolliver.
Der König scheuchte seine Gefolgsleute fort, die ihn nicht mit einem gefährlichen Dämon allein lassen wollten. Endlich waren die beiden Männer unter sich.
"Wachposten mit Schusswaffen! Als ich das letzte Mal in einer Elfensiedlung war, liefen die Wachen noch mit Pfeil und Bogen herum."
"Die Zeiten ändern sich, Tolliver. Weshalb bist du gekommen?"
"Vielleicht hatte ich Sehnsucht nach dir?!"
"Du hattest die letzten 150 Jahre keine Sehnsucht nach mir. Was willst du?"
"Willst du mir nicht erst einmal etwas zu trinken anbieten?"
Leto zeigte auf einen Schrank.
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