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An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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immer sagen.«
    Er lehnte sich in seinen Sitz zurück. Die Landschaft wurde weiter und flacher, die Bäume spärlicher. Der Himmel verdickte sich, fauchte, manchmal rüttelte eine Bö am Auto. Er dachte über Trudy Weill nach. Noch mehr Fragen kamen ihm, aber er mochte sie nicht stellen – nicht jetzt, wo es zwischen ihm und Chloe so seltsam entspannt zuging:
    Was war der Sinn hinter dem Ganzen?
    Was war, wenn Trudy ihnen nicht helfen konnte?
    Und was war, wenn sie es konnte?
    Er sah zu Chloe hinüber, die am Lenkrad klebte und nach vorn starrte.
    Was würde aus ihnen beiden, wenn Brendan fort war?
    In Toledo hielten sie bei einem Starbucks. Der Himmel war noch düsterer geworden, es herrschte kaum Verkehr; in dem Starbucks war außer ihnen kaum ein Mensch. Mark nahm sein Handy mit auf die Toilette und rief von dort seine Arbeits-E-Mails ab. Er hatte seine Geschäfte die letzten Tage über sträflich vernachlässigt. Er bekämpfte den Impuls, es einfach dabei zu belassen – oder, schlimmer noch, eine Rundmail zu schicken: Mein Sohn ist mir als Geist erschienen! Stattdessen entschied er sich für die gemäßigtere Variante: Bitte entschuldigen Sie, dass ich mich jetzt erst melde, aber ich bin unerwartet krank geworden und wäre froh, wenn ich für Ihr Projekt noch etwas mehr Zeit bekommen könnte. Wenn Sie nicht warten wollen, verstehe ich das natürlich; in diesem Fall empfehle ich Ihnen gern einen anderen Web-Designer und erstatte Ihnen Ihr Geld zurück. Danke für Ihr Verständnis.
    Er machte sich klar, dass es für Chloe ein ganz normaler Arbeitstag sein musste. Das Wochenende war vorbei. Hatte sie sich krankgemeldet? Hatte sie ihre Stelle überhaupt noch? Wenn er einen Kunden oder zwei verlor, musste er eben ein bisschen akquirieren gehen. Chloe setzte da womöglich viel mehr aufs Spiel.
    Aber welche andere Wahl blieb ihr denn? Brendan brauchte Hilfe, und Trudy Weill war der Meinung, dass er sie jetzt brauchte. Chloe würde tun, was immer dafür nötig war. Er sah es an ihrem Blick.
    Gut, das Gleiche hatte er theoretisch auch versprochen.
    Er zögerte, bevor er zum Auto zurückkehrte. Seine gestrige Euphorie war eine Spur abgeflaut. Er wusste – wusste bis ins Innerste –, dass in ihrem alten Haus etwas mit ihm passiert war. Doch von dem Gefühl, das ihn dabei durchströmt hatte – das ihn wie einen Irren zur Treppe hatte stürzen lassen –, war nur eine ferne Erinnerung übrig. Brendan war zu ihm gekommen – das wusste er mit dem Verstand, aber er empfand nicht mehr dieses hingerissene Staunen, das ihn gestern ganz schwindlig gemacht hatte.
    Trotzdem. Es war passiert. Es war echt.
    Kannst du mich hören, über diesen Abstand hinweg?
    Ich komme. Mommy und ich kommen und helfen dir .
    Die nächsten Worte flüsterte er hörbar: »Ich versprech es dir.«
    Eine Stunde später hatten sie Michigan erreicht. Chloe gab Mark einen zusammengefalteten Zettel mit der Wegbeschreibung von der Autobahn zu Trudy Weills Haus. Sie wohnte gut dreißig Meilen westlich, nicht weit von der kleinen Stadt Adrian, inmitten von sanft hügeligem Ackerland.
    Chloe bat Mark, die Cocteau Twins einzulegen: Heaven or Las Vegas . Sie sang mit ihrem dünnen Highschool-Sopran mit. Mark schloss die Augen und hörte ihr zu, nicht richtig wach, nicht richtig schlafend. So hatte sie oft gesungen, um Brendan zu beruhigen, wenn er in seinem Kindersitz quengelig wurde. Es hatte auch ihn immer beruhigt.
    Sie fuhren durch Adrian und rollten keine zehn Minuten später die Hauptstraße eines noch kleineren Ortes entlang, in dem, wenn man von den Autos absah, die vor den Geschäften parkten, die Zeit seit den fünfziger Jahren stehen geblieben zu sein schien.
    Chloe bog von der Hauptstraße ab und hielt vor einem kleinen Bungalow, der in einer langen Reihe exakt baugleicher Bungalows stand. Auf der anderen Straßenseite waren in regelmäßigen Abständen junge Ulmen gepflanzt, gegenüber jedem Haus eine. Dahinter breitete sich ein riesiger Acker, sein Braun streifig von Schneeresten und umgeknickten Maisstängeln. Es hatte wieder zu schneien begonnen, so dass sich weiter hinten alles in Grau verlor.
    Die Seitenwände des Hauses waren weiß gestrichen, seine Fensterläden blau; das Dach war schiefergrau. In dem abschüssigen Vorgarten stand ein neu gepflanztes Bäumchen, noch umgeben von seinem braunen Erdwall. Neben der Haustür saß eine dieser schwachsinnigen Steingänse im gelb-blauen Jäckchen, die man als patriotisch gesinnter Midwesterner so

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