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An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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liebte.
    Chloe schaltete den Motor ab. »Bist du bereit?«
    »Ja«, sagte er und bestätigte es sich stumm noch einmal: ja.
    Trudy Weill öffnete die Tür, während sie noch die Stufen hinaufstiegen. »Hallo!«, rief sie.
    Es verblüffte Mark, wie groß sie war – kaum kleiner als er und knochendürr. Sie trug einen braunen Pullover mit T-Shirt darunter und eine zu weite, schlackernde Bluejeans; ihre nackten Arme waren sehnig, knotig. Ihr mattrotes Haar steckte in einem Dutt, und sie trug eine schwere, viereckige Schildpattbrille. Ihr Gesicht war mit Sommersprossen übersät, nur über die linke Wange zog sich ein weißlicher Streifen, eine enorme Narbe, erkannte Mark, die unterm Auge losging und sich über den Backenknochen hinauf bis in ihr Haar schwang, wo sie einen unnatürlichen, wie eine Messerklinge geformten Scheitel bildete.
    »Mark«, sagte sie. »Chloe. Schön, dass Sie da sind.«
    Ihre Stimme war kraftvoll und warm; sie erinnerte ihn irritierend an Helen Etley. Sie hielt ihm die Hand hin, und er schüttelte sie. Ihr Händedruck war kräftig, aber die Finger fühlten sich schmal und leicht an. Ihre Iris, durch die Brille vergrößert, war von einem warmen Grün, und während das Narbengewebe an ihrem linken Auge glatt war, straff gespannt, war das rechte von winzigen Fältchen umgeben, die nur Lachfältchen sein konnten.
    »Kommen Sie herein«, sagte sie, »ich habe im Kamin ein Feuer brennen, das sich nach Gesellschaft sehnt.«
    Mark folgte Chloe in ein kleines Wohnzimmer. Die Polstergarnitur war beige und zu prall, der Teppichboden dunkelbraun. Die Luft war warm und roch süß – übersüß, fast als wäre irgendwo im Haus ein Baby versteckt.
    Ein kleines, ovales Bild von Jesus – einem gepflegten, weißen Jesus, der in einen warmen Glorienschein emporblickte – hing neben dem Kamin, genau an der Stelle, wo es bei allen Familien aus Marks Schulzeit auch gehangen hatte.
    »Setzen Sie sich hin, wo Sie möchten«, sagte Trudy. »Saft? Kaffee? Was Sprudliges? Ich habe nur Cola Light da.«
    Chloe bat sie um ein Wasser, Mark wollte gern einen Kaffee. Als Trudy hinausging, schaute er hinüber zum Kaminsims und sah viele Fotos, aber nur von Erwachsenen – Trudy selbst und zahlreiche Anverwandte in schlecht sitzenden Anzügen. Der Couchtisch vor dem Sofa war leer; auf einem Beistelltisch lag neben einem Körbchen mit Duftkräutern eine in weißes Kunstleder gebundene Bibel.
    Auf einmal tauchte aus einem Gang, der vom Wohnzimmer wegführte, ein Mann auf. Chloe griff nach Marks Hand; auch Mark hatte sich erschrocken.
    Der Mann trug Bürstenschnitt und einen Bart nach Art der Amish People, nur kürzer. Sein Gesicht war braungebrannt, wettergegerbt, die Augen zwei schmale Schlitze. Sein dunkelblaues Polohemd spannte über den muskulösen Oberarmen und dem Brustkasten.
    »Ich grüße Sie«, sagte er. Seine Stimme war sanft und leicht belegt. »Ich bin Trudys Mann, Warren.«
    Sie stellten sich vor. Warrens Händedruck war überraschend behutsam, seine Handinnenfläche glatt. »Trudy hat mir von Ihnen beiden erzählt«, sagte er. »Sie haben mein tiefstes Mitgefühl.«
    Er schob sich an Chloe vorbei Richtung Küche und berührte sie dabei an der Schulter – fast eine professionelle Geste. Ein Geistlicher, konnte man meinen. Oder ein Bestattungsunternehmer.
    Gleich darauf kam Trudy wieder herein. Sie brachte Gläser auf einem Tablett, Warren hinter ihr trug die Keksdose.
    »Mr Mark«, sagte Trudy, »ich weiß, dass Sie nervös sind, aber wenn Sie sich nicht hinsetzen, werde ich auch ganz zapplig.«
    Mark wollte sich neben Chloe setzen, aber Trudy sagte: »Hier bitte«, und deutete auf das andere Sofaende. Er gehorchte. Trudy setzte sich auf einen Holzstuhl, der genau zwischen ihnen stand, und schlug die langen, dünnen Beine übereinander. Ihre Füße steckten in leuchtend weißen Nike-Turnschuhen – ein hysterisches Kichern stieg in Marks Kehle auf, er wusste selbst nicht, warum.
    Warren lehnte sich an die Wand bei der Eingangstür und drückte das Kinn auf die Brust.
    »Danke, dass Sie den weiten Weg auf sich genommen haben«, sagte Trudy. »Warren hat Rückenprobleme, da sind wir froh, wenn wir mal nicht fahren müssen.«
    »Es war sehr nett von Ihnen, sich Zeit für uns zu nehmen«, sagte Chloe.
    »Ich bitte Sie, das ist schließlich mein Beruf.«
    Und Trudy bedachte erst sie und dann Mark mit einem ermutigenden Lächeln.
    »Chloe, Liebe«, sagte sie dann, ohne den Blick von Mark zu wenden, »ob ich wohl mit

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