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An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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dem Geist von dem kleinen Jungen, der hier mal gewohnt hat.«
    Connies furchtsame, nasse Augen. Sein eigener Atem. Das zähe Stimmengeblubber ringsum. Eine Gitarrensaite, die gezupft und wieder gezupft wurde, sich auf den Ton einschwang.
    »Sprechen Sie mich nie wieder an«, sagte er, drehte sich um und ging.
    Ein älteres Paar am Nachbartisch starrte ihn an, die Frau drückte die Hand an den Mund. Er eilte an den Kassen vorbei zum Ausgang, einen säuerlichen Klumpen in der Kehle. Möglich, dass Connie Pelham ihm etwas nachrief, als er die Tür aufstieß. Draußen blies der kalte Wind jetzt heftiger, Schneeregen trieb ihm ins Gesicht. Er sah zurück. Connie lief hinter ihm her zur Tür, ihre Augen tränenglitzernd.
    Er griff in seine Tasche, um Allison anzurufen, da hupte es links von ihm: Allie in ihrem kleinen Honda, die durch die streifige Windschutzscheibe zu ihm herausspähte. Er hastete zur Beifahrertür hinüber – fast wäre er auf einer überfrorenen Stelle ausgerutscht – und warf sich neben sie auf den Sitz.
    »Fahr, schnell«, sagte er.
    »Was ist passiert?«
    »Fahr einfach, ja?«
    »Okay«, sagte Allie. Sie legte den Gang ein und gab Gas. Im selben Augenblick kam durch die Tür des Buchladens Connie Pelham, ihr Gesicht, so Marks Eindruck durch das Netz silbrig kalter Regenspritzer im Spiegel, verzerrt von Wut oder Verzweiflung oder vielleicht auch beidem.
    Auf der Heimfahrt berichtete er Allie, was passiert war. Sie lauschte mit konzentriert gerunzelter Stirn, und als Mark zu der schlimmsten Stelle kam – als er das Wort »Geist« aussprach –, brach es aus ihr hervor:
    »Du lieber Gott. Nicht im Ernst!«
    »Doch.«
    »Was hast du ihr geantwortet?«
    »Nicht viel.« Er schüttelte den Kopf. »Ich bin weggerannt.«
    »Und sie hat dich einfach so angesprochen?« Allie warf einen Blick zu ihm herüber. »Wie hat sie dich überhaupt gefunden?«
    Gute Frage. Connie Pelham wusste, wo sie wohnten. Diese Fußspuren neulich, nachdem sie ihn im Cup O’Joe entdeckt hatte, mussten ihre gewesen sein. Mark hatte Allison nie von ihnen erzählt, und jetzt überkam ihn ein flaues Gefühl. War Connie ihm gefolgt? Nichts passiert ohne Grund, hatte sie gesagt. Na wunderbar.
    Als Allie vor ihrem Haus parkte, erwartete Mark fast, Connie Pelham schon an der Tür stehen und die Hände ringen zu sehen. Aber keine dunklen Gestalten lösten sich aus den Schatten neben dem Weg. Er schloss die Tür hinter sich ab und ließ im Erdgeschoss alle Jalousien herunter.
    Im Bad drückte er sich ein heißes Frotteetuch ans Gesicht. Hörte wieder Connies Worte: Der Geist von dem kleinen Jungen, der hier mal gewohnt hat. Brendan, ein Geist.
    Grotesk, diese Vorstellung. Mehr als grotesk. Und dennoch schwappten einzelne Ausläufer davon gegen sein Inneres wie die Wellen eines Eismeers, und eine unsagbare Angst griff nach ihm. Alt, vertraut. Der entsetzliche Krach auf den Stufen. Das Schweigen. Die Welt, die er kannte, plötzlich von der Hand eines Riesen zu Staub zermalmt.
    Er atmete durch das Tuch ein und aus, bis es abgekühlt war.
    Als er ein paar Minuten später in die Küche kam, fragte Allison: »Und was sollst du ihrer Meinung nach unternehmen?«
    »So weit sind wir nicht gekommen.«
    Connie hatte auf ihren Sohn gewartet. Das Kind, das in ihre Nachricht hineingeredet hatte.
    »Wahrscheinlich hat er in der Schule davon gehört«, sagte er.
    »Was?«
    »Sie hat einen Sohn. Er geht auf Brendans alte Schule. Ich stelle mir vor, dass er da etwas gehört hat. Oder irgendwer in der Nachbarschaft hat was zu ihm gesagt. ›Ihr wohnt in dem Haus, wo dieser Junge gestorben ist.‹ Irgend so was. Und dann ist seine Phantasie mit ihm durchgegangen.«
    Je länger Mark darüber nachdachte, desto sicherer war er sich. Falls die Erwachsenen im Viertel noch über die Sache redeten, dann unter sich, verhalten, mit Respekt. Aber die Kinder – die Geschichte von dem kleinen Jungen, der gestorben war, musste sich auch unter ihnen herumgesprochen haben, im Schulbus, auf Pyjama-Partys. Brendans frühere Freunde kamen jetzt schon in die Highschool – aber das hieß nicht, dass sie oder ihre jüngeren Geschwister nicht mit Connies Sohn zusammenkommen konnten. Und wenn Jacob Pelham jung genug war – wie alt, hatte Connie Pelham gesagt? Neun? –, dann fiel so eine Geschichte bei ihm wahrscheinlich auf fruchtbaren Boden. Wenn er wach im Bett lag, zu den schwankenden Schatten an seiner hohen Decke hochschaute und an den kleinen toten Jungen dachte …
    Mark

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