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An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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muss dich das fragen«, sagte Allie. »Chloe – muss sie …«
    Muss Chloe es erfahren? So weit hatte Mark noch gar nicht gedacht. Aber Chloe musste Bescheid wissen, oder? Sie hatte die Kaufverträge mit unterzeichnet. Auch sie konnte also von jemandem, der Detektiv spielte, aufgespürt werden.
    Aber sie hatte die Papiere als Chloe Fife unterschrieben. Nach der Scheidung hatte sie wieder ihren Mädchennamen angenommen – sie war jetzt Chloe Ross, C. Ross im Telefonbuch. Sie hinterließ keine Spuren im Netz, so wenig, wie sie ihren Computer in Benutzung hatte. Sie würde für Connie Pelham deutlich schwerer zu finden sein als Mark.
    »Wir gehen am Dienstag zusammen essen«, sagte er Allie. Übermorgen: Brendans Geburtstag. Seine Kehle wurde noch enger. »Dann kann ich es ihr ja erzählen.«
    Wie, hatte er keine Ahnung.
    Sie gingen zu Bett, aber Mark konnte nicht einschlafen. Er empfand eine Verzweiflung, wie er sie seit Langem nicht mehr gespürt hatte – nie mehr seit dem Jahr nach dem Unfall, als alles, was er sah, jedes Geräusch, das er hörte, jeder Geruch und jeder Gegenstand auf der ganzen weiten Welt nur diese eine Botschaft für ihn hatte: Brendan war weg. Brendan war tot . Das Wort schien eine Blase aus zähflüssigem Teer, die anschwoll und zerplatzte und sich wieder neu bildete. Tot. Tot. Mein Kind ist tot.
    Connie Pelham hatte dem Wort seine Macht zurückgegeben. Allison hatte ihn vorhin in den Arm genommen, seine Wangen geküsst, sein Gesicht gestreichelt. Wenn er mit ihr hätte schlafen wollen, sie wäre mehr als bereit gewesen. Aber er hätte sich an ihrem warmen Körper zu schaffen gemacht und nur gedacht: Tot. Tot. Morgen, wenn er zu arbeiten versuchte, würde er tot denken, er würde weg denken, er würde Geist denken. Wenn er mit seinem Vater telefonierte. Wenn er einfach nur still dalag. Tot, weg, Geist .
    Geist, das Wort würde er am Dienstag auch zu Chloe sagen müssen, und die Krankheit würde auf sie überspringen.
    Er konnte es nicht. Er konnte Chloe das nicht antun.
    Zwei Wochen nach Brendans Tod hatte er Chloe in Brendans Bett gefunden, die Knie bis zur Brust hochgezogen, Brendans Zudecke mit beiden Händen an den Mund gerafft. Er hätte sich neben sie legen, seinen Körper an ihren schmiegen wollen, aber schon da hätte sie ihn abgewiesen; schon da hatte Chloe angefangen, vor seinen Berührungen zurückzuschrecken.
    Ich dachte, ich höre ihn, sagte sie.
    Kurz darauf begannen ihre Diskussionen darüber, ob sie das Haus verkaufen sollten oder nicht. Brendan war überall. Sie hatten seine Sachen weggegeben, stießen aber ständig auf Übersehenes: ein Actionmännchen unter einem Sessel, ein Cheerio unter dem Fensterbrett, eine einsame Socke in den Falten eines Handtuchs.
    Beide hatten sie Alpträume. Beide träumten sie von Brendan, wie er in fernen Zimmern lachte oder mitten in der Nacht laut weinte. Sie überboten sich gegenseitig an Schlaflosigkeit, wanderten in Schichten den Flur auf und ab wie damals, als Brendan ein Säugling war, der pünktlich alle zwei Stunden sein Recht verlangte. Chloe weinte, wenn sie nachts aufwachte. Mark ging hinunter in die Küche und goss sich einen Drink ein.
    Als er sie schließlich fragte, ob sie nicht umziehen sollten, war Chloe wild geworden und hatte mit den Fäusten auf ihn eingetrommelt. Das können wir nicht! Das dürfen wir nicht!
    Du kriegst mich nicht dazu, ihn zu verlassen, niemals!
    Aber er hatte es doch geschafft. Nach und nach hatte er sie davon überzeugt, dass das Haus ihnen nicht guttat, dass seine Erinnerungen zu machtvoll waren – dass sie, sie beide miteinander, nur dann eine Chance hatten, wenn sie wegzogen. Aber der Schuss war nach hinten losgegangen. Nicht lang nach dem Auszug hatte Chloe ihn endgültig verlassen. Und daraufhin war Mark in das Haus zurückgekehrt, allein. Eine ganze Woche hatte er dort verbracht. Er hatte den Whiskey flaschenweise getrunken. Er hatte grauenhaft geträumt.
    Behutsam zog Mark seinen Arm unter dem von Allison hervor. »Was ist?«, murmelte sie in ihr Kissen.
    »Nichts.«
    »Ich dachte …«
    »Pscht«, sagte er. »Alles gut.«
    Er deckte ihre nackte Schulter zu, dann stand er auf und schlich nach unten. Im Wohnzimmer stellte er den Fernseher auf leise und sah einen Film über ein riesiges, tentakelbewehrtes Etwas, das Schwimmer in die Tiefen eines Sees hinabzerrte.
    Am Ende dieser einsamen Woche in dem alten Haus war er aufgewacht, völlig neben sich. In der Küche hatte sein Vater gestanden und

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