An einem Tag im Januar
schweißnass.
Schatten. Haus. Briefe. Mark . Die Botschaft begann Gestalt anzunehmen, gleich musste sie sich ihm erschließen.
Doch in dem Moment erschien auf einer der Treppen Chloe und stieg langsam, schlafwandlerisch fast, die Stufen hinab. Mark erkannte ihre Figur, ihren Gang, noch bevor er ihr Gesicht sehen konnte. Sie trug einen blauen Pullover, einen lederbraunen Rock und kniehohe braune Stiefel. Ihr Haar war zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden. Über ihren Arm hing ein langer, cremefarbener Wollmantel. Sie hatte ihn noch nicht entdeckt; sie blieb stehen, die Hand am Geländer, und schaute auf etwas ein Stück über ihr.
Er folgte ihrem Blick. Überall im Gewächshaus hingen Glasskulpturen von Chihuly; direkt vor Chloe rankte aus einer Aussparung in der Decke ein wild wucherndes Gebilde in Violett und Blau herab. Aus einem glatten Quallenleib strudelten lange, spitze Fangarme von gut drei Metern Länge, als würde eine Flamme von oben nach unten brennen.
Nach allem, was zwischen ihnen passiert war, mit ihnen passiert war – nach all den Vorfällen der letzten Wochen mit ihrem ganzen Spektrum an Bedeutungen –, konnte sich Chloe offenbar immer noch von einer hübschen Skulptur in ihren Lieblingsfarben gefangen nehmen lassen. Auch das bedeutete doch wohl etwas.
Mark wartete darauf, dass ihre Augen sich von der Skulptur losrissen und weiterwanderten. Jetzt, endlich. Sie sah ihn, und ihre Züge wurden weich.
Wie lange war es her, dass sie ihn so angesehen hatte? Froh – voller Erleichterung?
Sie hatte die Wahrheit geschrieben. Das war nicht die Frau, die sich von ihm hatte scheiden lassen. Hier vor ihm stand die Chloe, die ihn so sehr geliebt hatte, die Frau, mit der er ein Kind gezeugt hatte.
Vielleicht war Chloe gar nicht Teil des Musters. Vielleicht war sie stattdessen die Lösung.
Mark stand auf und ging ihr entgegen. Noch auf der letzten Stufe warf sie ihm die Arme um den Hals und presste ihre Wange an seine. Ließ sie dort. Ihre Rückenmuskeln spannten sich spürbar, so fest drückte sie ihn. Sein Mund öffnete und schloss sich nur Millimeter von ihrem Ohr.
»Du bist gekommen«, sagte sie. Nach allem, was geschehen war, schien sie damit nicht gerechnet zu haben.
Ihr Körper, so dicht an seinem. Ihr Atem.
»Ich bin da«, sagte er, und in dieser Sekunde hätte er allem zugestimmt.
Sie setzten sich nebeneinander auf die Bank zwischen den Palmenstämmen. Zu seiner Verblüffung begann Chloe Smalltalk zu machen. Ob Mark etwas aus dem Café oben wolle? Sie würde ihn gern auf ein Sandwich einladen, wenn er Appetit auf eins habe, oder auf einen Kaffee. Wie es ihm gehe?
Wie ging es ihm wohl? Über die Frage musste er lachen; sie lachte auch.
Der vergangene Monat hatte seinen Tribut von ihr gefordert. Die Furchen um ihren Mund waren ausgeprägter. Ihr Teint wirkte fahl; um den einen Nasenflügel sprossen Pickel. In ihrem Haar, das hätte er schwören mögen, war deutlich mehr Grau als zuvor.
Sie dachte vermutlich das Gleiche über ihn. Er war fast einen Monat nicht mehr beim Fitnesstraining gewesen, und wenn er überhaupt aß, dann ungesund. Die Wochen der Schlaflosigkeit zeigten sich in Augensäcken, einer vergröberten Haut, schlaffen Backen.
Chloe erzählte irgendetwas über ihren letzten Besuch hier, über die neuen Chihuly-Skulpturen, die angeschafft worden waren – aber dann sah sie offenbar die Fragen in seinen Augen. Sie stieß die Luft aus, schüttelte den Kopf. »Weißt du, Mark, es tut richtig gut, dich zu sehen.«
Er verkniff sich ein: dich auch. »Ein merkwürdiges Gefühl, wieder hier zu sein.«
Sie warf ihm einen raschen, verwunderten Blick zu.
»Ich war seit Jahren nicht mehr da«, sagte er.
»Wir hatten es immer so schön hier«, sagte Chloe. »Mehr hab ich mir dabei nicht gedacht.«
Ihr Ton war gerade spitz genug, um Mark zurückscheuen zu lassen. Er hatte an dieser Frau jedes einzelne Molekül geliebt, er wusste nur zu gut, wie schlau sie war, viel schlauer als er; wie gut darin – immer noch –, ihm ihren Willen aufzuzwingen. Vielleicht war das alles ein Trick. Vielleicht hatte sie diesen Ort nur deshalb vorgeschlagen, weil sie wusste, dass er hier von Erinnerungen eingeholt würde. Von seiner Trauer.
»Ich komme oft hierher«, sagte sie. »Ich meine, ich denke überall an ihn, aber hier …«
Sie sprach nicht zu Ende, doch selbst dieser einfache Satz war intimer als nahezu alles, was er in den letzten fünf Jahren von ihr gehört hatte. Er drängte seinen Argwohn
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