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An einem Tag im Januar

An einem Tag im Januar

Titel: An einem Tag im Januar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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und ihn lieb haben.
    Und dann, nach einer Weile … ist es passiert.«
    Sie zog eine Wasserflasche aus ihrer Handtasche und trank daraus, bot sie dann ihm an. Mark nahm sie, trank einen Schluck und reichte sie ihr zurück.
    Chloe sagte: »Ich habe so sehr nach Worten gesucht, um es zu beschreiben, aber es geht nicht. Es ist – es lässt sich nicht in Sprache fassen.«
    »Versuch’s einfach.«
    Sie holte tief Atem. »Eben noch war er nicht da. Ich war nur ich selbst, verstehst du? Die traurige Mutter, die ihr Kind verloren hat und seine Bilder anschaut. Und ich war noch trauriger als sonst, weil ich dort war. In unserem Haus.« Sie fing seinen Blick ein. »Allein. Ich … ich bin wütend geworden. Auf mich, auf Connie. Auf dich. Ich kam mir wie eine Vollidiotin vor, die sich an irgendwelche Strohhalme klammert – ich heulte und wütete und wünschte hunderterlei Dinge und zerfloss vor Selbstmitleid, und ich glaube … ich glaube, ich habe laut gesagt: Bitte komm zu mir zurück .
    Und er ist gekommen. Er ist gekommen, Mark. Ganz plötzlich hab ich ihn gespürt. Seinen Geruch gerochen. Es war, als würde er durch mich durchgehen. Und gehört habe ich ihn auch – alles Mögliche, was er eben so gesagt hat, ich hab Durst, Mommy, ich hab Hunger. Aber nicht – es war nicht unheimlich, oder traurig. Mehr so, als ob er mich umarmen würde, und wir würden uns beide zusammen erinnern.« Ihre Augen weit geöffnet, voller Staunen. »Weißt du noch – wenn wir mit irgendwas anderem beschäftigt waren, und plötzlich kam er angelaufen und hat uns umarmt, einfach so?«
    Der plötzliche Griff um sein Hosenbein. Brendans rundes kleines Gesicht, das triumphierend zu ihm hochstrahlte: Überraschung!
    »So ein Gefühl war das«, sagte Chloe. »Ich war traurig, und ich habe nach ihm gerufen, und er kam. Und als er bei mir war, wusste ich, dass er froh ist, mich gefunden zu haben. Dass er mich liebt.«
    Ihre Augen waren geschlossen. Sie lächelte.
    »Und dann war es vorbei. Er war weg.
    Ich bekam nicht gleich richtig Luft. Ich brauchte eine Zeitlang, um, was weiß ich, wieder zu mir zu kommen. Ich hab versucht, ihn zurückzuholen, aber er kam nicht. Nicht an diesem Abend.
    Nach einer Weile bin ich vom Boden aufgestanden und hab dich angerufen. Etwas anderes fiel mir nicht ein.«
    Chloes Wimpern schimmerten feucht. Sie zog ein Taschentuch hervor und rieb sich die Augen.
    »Glaubst du mir?«, fragte sie.
    Mark wollte es. Was sie schilderte, erinnerte ihn so sehr an die Gefühle, mit denen er selbst damals im oberen Flur aufgewacht war.
    Aber er bekam den Mund nicht auf, er brachte das Ja nicht über die Lippen. Chloe hatte ihm die gleiche Geschichte erzählt wie auch schon in ihrem Brief, sie hatte ihm eine Gänsehaut über den Rücken gejagt. Er wollte die Arme um sie legen, sie hin und her wiegen, sie trösten, empfinden, was sie empfand.
    Aber das war nicht dasselbe wie glauben, oder?
    Chloe hatte selbst eine mögliche Erklärung geliefert: Sie hatte eine Halluzination gehabt. Sie war zum ersten Mal seit Jahren an einen Ort gegangen, der ihr unweigerlich das Herz in Stücke reißen musste. Sie hatte sich auf Brendan konzentriert. Sie hatte es glauben wollen. Sie hatte gewollt , dass es passierte. Und dann war es passiert.
    Mark hatte sich einmal beinahe zu Tode getrunken vor lauter verzweifeltem Wollen.
    Er sagte: »Ich glaube dir, dass du es glaubst.«
    Chloe ließ die Schultern nach vorn sacken. »Mark, du … du musst es selber erleben. Ich weiß, dass er zu dir kommen wird. Er …«
    »Fragt nach mir?«
    »Jacob hat ihn gehört«, sagte sie widerstrebend.
    »Du nicht?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Aber ich weiß nicht, ob das etwas heißt. Wenn ich mit ihm zusammen bin, ist es … ist es sehr intensiv, sehr auf uns konzentriert.«
    »Traust du Jacob?«
    »Ich habe mich lange mit ihm unterhalten. Er hat mir alles gesagt, was er konnte. Er ist …«
    »Sag mir genau, was er dir erzählt hat.«
    Das tat sie. Begonnen hatte es alles – die Erscheinungen , war Chloes Wort dafür – damit, dass Jacob eine gute Woche lang jede Nacht aufgewacht war. Zuerst hatte er nur leise Geräusche gehört, so Chloe, Schritte im Gang, in der Nachbarschaft seines Zimmers.
    Dann hörte er eines Nachts eine Stimme – die eines kleinen Jungen direkt vor seiner Tür, auch wenn er keine Worte verstehen konnte. Jacob hielt es für einen Traum, aber es verging keine Nacht mehr, ohne dass ihn die Stimme weckte. Aus immer größerer Nähe. Und

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