An einem Tag im Januar
sagen?«
»Dass du es bleiben lassen sollst.«
»Warum hast du eigentlich aufgehört?«, fragte Lew. »Der wahre Grund?«
Und so sprach Mark es zum ersten Mal laut aus: »Kurz nachdem Chloe mich verlassen hat, hab ich mir in unsrem alten Haus die Kante gegeben. Und mittendrin habe ich mir eingebildet, ich hätte Brendan gehört. Ihn vielleicht sogar gesehen.«
Lew glotzte ihn blöde an.
»Tja«, sagte Mark. »Ich hab plötzlich meinen eigenen Sinnen nicht mehr vertraut. Kennst du das?«
Lew sah auf die Flasche in seiner Hand. » Ich vertraue dir – und zwar mehr als so ziemlich jedem anderen Menschen«, sagte er. »Ich wünschte, du hättest mir das eher erzählt.«
»Jetzt lügst du.«
Darüber musste Lew lachen. Er schenkte ihnen ein.
Zwei Stunden später – inzwischen war es neun vorbei – ging Lewis in die Küche, goss sich einen letzten Schuss ein, schraubte die Flasche zu und räumte sie in den Schrank. Sie hatten jeder zwei Gläser getrunken, dazu mehrere Dosen Bier, und Mark fühlte sich angenehm benebelt. Seine Hände lagen auf seinen Schenkeln wie festgewachsen. Er saß auf der Couch und hörte zu, wie Lew das Geschirr spülte. Als Lew fertig war, blieb er neben dem Küchentisch stehen, schaute auf den Schreibblock hinab, der dort noch lag, und schüttelte den Kopf.
Sie hatten die letzte Stunde hindurch ferngesehen und dazu geschwiegen, und wenn er Lew nun so sah, wollte Mark es gern dabei belassen. »Vielleicht sollten wir langsam mal ins Bett.«
Lew nickte bedächtig – seine Lider schwer vom Alkohol, seine Bewegungen überexakt. Er ging an den Flurschrank und kehrte mit Bettwäsche, einer Decke und einem Kopfkissen zurück, die er neben Mark auf der Couch deponierte. Dann ließ er sich wieder in seinen Sessel fallen und blies Luft zu den Backen aus. »Ich weiß echt nicht«, sagte er.
»Was weißt du nicht?«
»Ich … irgendwie krieg ich das nicht aus meinem Kopf. Ich hab dir vorhin noch nicht alles gesagt.«
Mark breitete das Leintuch über die Sofapolster und legte sich wieder hin. Sein Kopf fühlte sich leicht an, wie mit Luft gefüllt. Der Schlaf schien so nahe … wenn Lew nur den Mund halten würde …
»Es gibt eine Sache, die ich nicht mit aufgeschrieben habe«, sagte Lew. »Weil ich dachte, sie ist nicht wichtig. Aber jetzt bin ich mir plötzlich nicht mehr sicher. Und vielleicht ist das die schlimmste von allen.«
Mark antwortete ihm nicht.
Lew sagte: »Geister verfolgen Ziele .«
»Was …«
»Selbstsüchtige Ziele«, sagte Lew, als würde er eine Sünde eingestehen. »Davon handeln so viele von diesen Geschichten. Geister wollen Dinge, die sie nicht mehr haben können. Die sie hatten, als sie am Leben waren.«
Der kleine Schatten-Brendan, der in seinem leeren Zimmer kauerte und den Stimmen seiner Eltern hinter der Wand lauschte.
»Sie sind einsam«, sagte Lew. »Verzweifelt.«
»Lew …«
»Hör zu. Diese ganzen Geschichten … so viele enden damit, dass jemand stirbt.«
»Wer soll hier sterben?«
Lew blinzelte heftig. »Du hörst nicht zu. Geister wollen Gesellschaft. Bloß können Geister nicht wieder lebendig werden, richtig? Aber Lebende können zu Geistern werden.«
Mark dachte an Chloe, so abgemagert, dass sie fast durchscheinend war.
»Wir reden hier immer noch über Brendan«, sagte er.
»Ich weiß überhaupt nichts mehr.« Lew saß krumm in seinem Sessel, seine Züge eingefallen, todunglücklich. »Dich hat es doch auch schon verändert. Merkst du das nicht? Du bist nicht mehr du selbst. Du siehst krank aus.«
Mark schwieg.
»All diese Jahre über war ich bei dir«, sagte Lew. »Ich habe miterlebt, wie du dich durch das alles durchgebissen hast, und ich war mir nicht immer sicher, dass du es schaffst. Und jetzt geht es plötzlich wieder von vorn los.«
Er wusste, dass Lew recht hatte. War nicht genau das von Anfang an auch Marks Angst gewesen? Die er mit aller Macht zu bekämpfen versucht hatte?
»Du bist mein ältester Freund«, sagte Lew. »Ich will einfach nur, dass du auf dich aufpasst. Das ist alles. Nur darum geht es mir.«
»Ich passe auf«, sagte Mark. »Versprochen.«
»Du kapierst es immer noch nicht«, sagte Lew. »Du bist in Gefahr. Egal, was du tust. Egal, ob es stimmt oder nicht.«
»Wie meinst du das?«
»Allie ist ein feiner Kerl«, sagte Lew. »Sie liebt dich. Du liebst sie. Setz das nicht aufs Spiel.«
Mark erwiderte nichts.
Lew stand auf, kam zu ihm herüber und umarmte ihn. »Eins sag ich dir. Du meldest dich morgen bei
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